Guardian Angelinos: Tödliche Vergangenheit (German Edition)
dort aus konnten sie die schmale Hauptstraße überblicken, in der einen Richtung bis zu einer Kirche und in der anderen zu den Denkmälern, die sie gerade besichtigt hatten.
»Lass uns was essen«, schlug Marc vor. »Wir hatten kein Mittagessen, und in Boston ist fast Mittag. Ich will versuchen, Vivi zu erreichen. Interessiert mich brennend, was sie Neues in Raleigh rausgefunden hat.«
»Wahrscheinlich dasselbe wie wir«, seufzte Devyn, froh, dass sie sich endlich mal hinsetzen konnte. »Nichts.«
Während er eine Nummer in sein Handy tippte, schweifte Devyns Blick neugierig die Straße hinauf und hinunter. Sie registrierte die vielen orangenen Flaggen und Banner, ein sicheres Zeichen dafür, dass die Bevölkerung von Enniskillen überwiegend protestantisch war und politisch mit England sympathisierte. Sie waren an ein paar Kirchen vorbeigekommen, und die am Ende der Straße beherrschte mit ihrem mächtigen Glockenturm die Stadtsilhouette. Jede volle Stunde erklang deren monströses, markerschütterndes Geläut.
Entlang der Straße, mitten im Stadtzentrum, drängten sich zwei- und dreigeschossige Schiefer- und Backsteinhäuser so dicht aneinander, dass nicht einmal eine Kreditkarte dazwischengepasst hätte. Vermutlich waren sie uralte, historische Bauten, die alle paar Jahrzehnte modernisiert wurden.
»Hallo Vivi«, sagte Marc eben ins Telefon. »Warum hast du denn nicht mal angerufen?«
Während er stirnrunzelnd lauschte, betrachtete Devyn ihn heimlich durch ihre dichten, gesenkten Wimpern. Seine starken, gebräunten Finger legten sich um das Wasserglas, und er lehnte sich lässig elegant zurück. Der Typ war Selbstsicherheit pur. Und immer hoch konzentriert, denn sein aufmerksamer Blick tastete prüfend die Umgebung ab.
Und dann blieben diese umwerfenden Augen an ihr kleben und verschmolzen mit den ihren … nur, dass sie nicht verstand, was er ihr damit sagen wollte.
Was hatte sich seit gestern Abend geändert?
Er hatte ihr von seiner Exfrau erzählt. Laura. Er hatte seine Gefühle vor Devyn ausgebreitet, und sie hatte darauf reagiert, indem sie …
… Finn MacCauleys Telefonnummer verbrannt hatte.
Im Nachhinein betrachtet, hatte sie wahrscheinlich leicht überreagiert. Aber heute Nacht war ihr grottenelend zumute gewesen, als sie nicht einschlafen konnte, weil Marcs Geständnis in ihrem Kopf herumspukte.
Er hatte seine eigene Frau für ihre Verbrechen ins Gefängnis gebracht. Er hatte keinerlei Mitleid mit Gesetzesbrechern. Wie könnte dieser Mann jemals ihre Herkunft vergessen?!
Und was war mit anderen Männern? Welche Chance hatte sie, jemals das große Glück zu finden, wenn ihr Name unauslöschlich mit einem der meistgesuchten Kriminellen verknüpft war?
Also hatte sie das Foto verbrannt und deswegen plagte sie jetzt ein verdammt schlechtes Gewissen.
»Ein Kalender? Mehr hast du nicht gefunden?«, meinte Marc gerade kopfschüttelnd.
»Wir sind in Enniskillen«, erklärte er dann. Er nahm einen Schluck Wasser und wiederholte den Namen der Stadt. »Das ist in …« Er stockte, und Devyn zwang sich, auf den Kirchturm zu starren anstatt in sein hinreißendes Gesicht. »Wirklich?«
Plötzlich klang er hoch interessiert; er beugte sich vor und hielt sich das Telefon ans andere Ohr. »Steht da noch was in dem Monat? Welcher war es, Oktober?«
Der Kellner brachte ihnen ihre Sandwiches, also aß sie, während sie weiter zuhörte und versuchte, aus seiner Hälfte des Gesprächs einen Sinn zu erschließen. Dabei ließ sie den Tag Revue passieren.
Sie hatten das Inselstädtchen nach Hinweisen durchkämmt, aber nichts Besonderes wahrgenommen, das Übliche eben: Geschäfte, Restaurants, Apartmenthäuser und Kleinunternehmen. Niemand schien auch nur die kleinste Notiz von ihnen zu nehmen, geschweige denn, dass ihnen jemand irgendeine verschlüsselte Botschaft übermittelt hätte, wie Padraig angedeutet hatte.
Sie waren in den schmalen Gassen umhergestreift, in der vagen Hoffnung, irgendwelche Anhaltspunkte auf Sharons Verbleib zu finden. Fehlanzeige. Sie hatten sogar das Ehrenmal für die Opfer einer IRA -Bombe besichtigt, die mitten in der Stadt hochgegangen war, trotzdem blieb ihre Suche erfolglos.
»Da stehen wirklich Buchstaben an den Tagen?«, fragte Marc und holte einen Stift aus der Jacke, um damit auf eine Papierserviette zu schreiben. »Lies sie mir vor.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Ja, aber man weiß ja nie, Vivi.«
Er schrieb eine Reihe von Buchstaben auf und wechselte einen
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