Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
drei oder vier dramatische Sekunden, bis ich darauf kam. Elton erklärte mir, der Titel der Ausstellung stamme von ihm, ebenso die kritische Einleitung im Katalog.
Aha, sehr schön. Ich habe sie überflogen und kein Wort verstanden.
Das sagte ich nicht, aber mein Gegenüber las in meinen Gedanken und begann mir unaufgefordert den Inhalt seiner Einleitung darzulegen, und zwar bis ins kleinste Detail.
Ich konnte es nicht fassen. Ich konnte nicht fassen, dass dieser Mensch unter mindestens zweihundert Gästen ausgerechnet mich zum Opfer auserkoren hatte. Und ich kannte niemanden, dem ich ein Zeichen hätte geben können, damit er käme und mich rettete, beispielsweise, indem er Elton einen Schlag ins Genick versetzte.
Irgendwann merkte ich, dass die Leute sich grüppchenweise in den hintersten Teil der Garage begaben. Jene typische Herdenbewegung, die auf Festen für gewöhnlich die Ankunft von Essen signalisiert.
»Ich glaube, jetzt gibt es etwas zu essen«, sagte ich, aber er hörte mich nicht einmal.
Er steckte mitten in einer metaphysischen Exegese der Werke von Herrn Katso und war nicht zu bremsen.
»Kertoffen, schabreiner«, sagte ich. Einfach so, um zu sehen, ob er mich überhaupt hörte. Er hörte mich tatsächlich nicht. Er fragte mich weder, was »Kertoffen«, noch, was »schabreiner« bedeute, und fuhr stattdessen fort, über Archetypen zu reden und darüber, wie gut sich gewisse Kunstrichtungen eigneten, die weithin verstreuten Bruchstücke des kollektiven Unterbewusstseins zu kitten.
Ich kittete meine verstreuten Bruchstücke, sagte Entschuldigen Sie mich , aber nur weil ich ein wohlerzogener Mensch bin, drehte mich um und nahm Kurs auf das Essen.
Es gab eine lange Tafel, um die sich die Leute drängten. Aus einem dahinter befindlichen Raum kamen Kellner mit Platten voller Sushi, Sashimi und Tempura. An einem Ende der Tafel lagen Holzstäbchen in Papiertüten bereit, am andern Ende Plastikbesteck für Laien.
Ich bahnte mir ohne große Rücksicht auf die Warteschlange einen Weg durch die Menge, häufte mir einen Teller auf, gab reichlich Sojasoße dazu, nahm mir eine Tüte Stäbchen und setzte mich etwas abseits auf einen Hocker, um in Ruhe zu essen.
Die Speisen waren köstlich und an Ort und Stelle zubereitet worden, das schmeckte man – kein Tiefkühlzeug, das stundenlang in irgendeinem Kühlschrank herumgestanden hatte. Ich ließ es mir schmecken wie schon lange nicht mehr. Als ein Kellner mit einem Tablett Weißweingläser vorbeikam, nahm ich mir zwei und brummte etwas von einer Dame, auf die ich noch warte. Der Wein stand qualitativ hinter dem Essen zurück, aber er war immerhin schön kalt. Ich leerte das erste Glas und ließ es unter meinem Hocker verschwinden. Das zweite nahm ich auf zivilisiertere Art und Weise zu mir, während sich das Gedränge um den Tisch allmählich auflöste.
Und da erschien auch Natsu im Türrahmen des Raumes hinter dem Tisch. Sie war als Köchin gekleidet, ganz in Weiß, wodurch ihr dunkler Teint und ihre schwarzen Haare prächtig zur Geltung kamen.
Als Erstes warf sie einen Blick auf den Tisch, der aussah, als sei ein Schwarm Heuschrecken darüber hergefallen, dann sah sie sich um. Ich erhob mich automatisch. Nach ein paar Sekunden kreuzten sich unsere Blicke. Ich winkte ihr linkisch mit der Hand zu. Sie lächelte und kam zu mir.
»Guten Abend.«
»Guten Abend.«
Verlegene Pause. Ich war drauf und dran, ihr zu sagen, das Essen sei hervorragend gewesen, sie sei eine ausgezeichnete Köchin und andere höchst originelle Dinge. Glücklicherweise konnte ich mich noch einmal bremsen.
»Ich möchte eine Zigarette rauchen. Hast du Lust, mich nach draußen zu begleiten?«
Sie war ohne Vorankündigung und große Zeremonien zum Du übergegangen. Ich meinte, ich würde sie gerne begleiten, und so gingen wir gemeinsam zum Eingang, vor dem sich sämtliche Raucher des Abends versammelt hatten. Sie zog ein Päckchen blaue Chesterfield heraus, bot mir eine an, ich sagte, nein danke, sie nahm sich ihre und zündete sie an.
»Ist es schon lange her, dass du mit dem Rauchen aufgehört hast?«
»Woher weißt du, dass ich mit dem Rauchen aufgehört habe?«
»Durch die Art, wie du das Päckchen angeguckt hast. Ich kenne diesen Blick gut, weil ich selbst schon zig Mal mit dem Rauchen aufgehört habe. Wie findest du den Abend?«
»Interessant. Den Katalog habe ich zwar nicht verstanden und die Bilder kaum, dafür hat mich ein Typ, der als Elton John verkleidet war und wie
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