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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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und sagte, sie wolle nicht in die Angelegenheit hineingezogen werden.«
    »In welche Angelegenheit denn? Ich will ihr doch nur ein paar Fragen stellen.«
    »Das habe ich auch gesagt. Ich war sehr hartnäckig, und am Schluss habe ich sie überreden können.«
    »Ah, das ist gut. Vielen Dank. Wie können wir also vorgehen?«
    »Sie sagte, sie würde nur dann mit dir sprechen, wenn ich auch dabei bin.«
    Ich blieb einen Moment still.
    »Ich habe ihr gesagt, dass es keinen Grund zur Sorge gibt, dass du ihr nur ein paar Fragen über Manuela stellen willst. Aber da sie eher abwehrend blieb, sagte ich, ich könne gern dabei sein. Ich dachte, das würde sie beruhigen.«
    »Und wie soll das gehen?«
    »Wir müssten sie gemeinsam in Rom besuchen.«
    Diese Antwort löste eine schizophrene Reaktion bei mir aus: Einerseits überschritt Caterina eine Grenze und drang in mein Gebiet ein, andererseits erregte mich der wenig missverständliche verführerische Ton, der in ihren Worten mitschwang. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und wie immer in solchen Fällen versuchte ich, Zeit zu gewinnen.
    »In Ordnung. Wenn du Lust hast, in der Kanzlei vorbeizukommen, besprechen wir alles in Ruhe, was meinst du dazu?«
    »Um wie viel Uhr?«
    »Wenn es dir recht ist, eher gegen Abend.«
    »Soll ich um halb neun vorbeikommen?«
    »Halb neun wäre perfekt. Also, bis später!«
    »Bis später. Ciao.«
    Das Gespräch war zu Ende, aber ich hielt das Telefon noch eine Weile in der Hand und sah es an. Eine Menge Gedanken gingen mir durch den Kopf, und einige davon waren weder professionell noch moralisch akzeptabel. Ich war verlegen und hatte das Gefühl, dass sich diese Verlegenheit leicht in Lächerlichkeit verwandeln könnte. Also steckte ich das Handy beinahe wütend in die Tasche und ging schnellen Schrittes Richtung Büro.
    Da ich viel zu erledigen hatte, verging der Nachmittag wie im Flug. Am folgenden Tag sollte Consuelo ihren ersten eigenen Prozess führen, an einem Gericht in unserer Provinz, und sie hatte mich gebeten, mit ihr noch einmal alles durchzugehen.
    Es war ein Prozess wegen räuberischen Diebstahls. Drei Gymnasiasten, zwei Minderjährige und ein Volljähriger, hatten Kekse, Schokolade und Getränke in einem Supermarkt geklaut. Ein Wachmann hatte es bemerkt und einen von ihnen festgehalten. Die anderen beiden waren zurückgelaufen, um ihrem Freund zu helfen, und dem war ein ziemlich heftiges Handgemenge gefolgt. Sie konnten zwar fliehen, aber da viele Leute das Ganze mit angesehen hatten, hatten die Carabinieri wenige Stunden später alle Beteiligten identifiziert. Die beiden, die zum Zeitpunkt des Tatgeschehens noch minderjährig waren, waren vom Jugendgericht verurteilt worden. Consuelos und mein Mandant war der Volljährige. Er war zu uns gekommen, als er schon angeklagt war und ein Vergleich – der in diesem Fall die beste Lösung gewesen wäre – nicht mehr möglich war. Die Verteidigungsstrategie, die wir vereinbart hatten, bestand darin, die Verantwortung für den Angriff auf den Wachmann den beiden Minderjährigen zuzuschieben, die mit einer Verwarnung davongekommen waren und nichts mehr riskierten. Nebenbei gesagt, könnte das auch der Wahrheit entsprechen, denn einer der beiden war ein Rugbyspieler und wog mindestens neunzig Kilo.
    Am nächsten Tag war ich am Gericht in Lecce beschäftigt, weshalb wir beschlossen hatten, dass der Keksraub Consuelos erster Prozess sein sollte, den sie ganz allein führte.
    Während sie mir ihre Notizen für den nächsten Tag zusammenfasste, nahm meine Aufmerksamkeit, wie so oft, immer mehr ab, und meine Gedanken wanderten zu einer Erinnerung aus meiner Jugendzeit.
    Wir waren eine Gruppe von fünfzehnjährigen Schülern. An einem Winternachmittag streiften wir durch die Stadt, ohne wirklich etwas vorzuhaben, und langweilten uns auf diese besondere Art, die nur möglich ist, wenn man alle Zeit der Welt hat.
    Irgendwann sagte einer von uns, Beppe, wenn ich mich recht erinnere, dass seine Eltern weggefahren seien und dass wir bei ihm zu Hause Musik hören und womöglich ein paar Telefonstreiche machen könnten. Ein anderer sagte, dass wir uns aber vorher etwas zu essen und zu trinken besorgen müssten.
    »Dann gehen wir doch in einen Supermarkt klauen«, sagte ein dritter.
    Der Vorschlag traf auf keine Gegenstimmen, ja, er wurde sogar begeistert aufgenommen: endlich eine aufregende Wendung an diesem langweiligen Nachmittag. Ich hatte noch niemals etwas gestohlen, aber ich wusste, dass

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