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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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überhaupt nichts bemerkte. Herr Ferraro sah nicht zur Seite und schon gar nicht nach hinten. Er ging schnell, und der Blick, mit dem er durch mich hindurchgesehen hatte, war nur nach vorn gerichtet, ins Nichts. Oder in etwas, was schlimmer war als das Nichts.
    Wir kamen zur Via Sparano, und er bog ab Richtung Bahnhof.
    Ich stellte mir nicht einmal die Frage, was er da tat und warum. Ein fiebriger Impuls trieb mich, ihm einfach hinterherzulaufen.
    Als ich sicher sein konnte, dass er mich nicht einmal bemerkt hätte, wenn ich direkt vor ihn gesprungen wäre und ihm den Weg versperrt hätte (er wäre mir lediglich ausgewichen und wäre weitergelaufen), wurde ich kühner und ging dicht hinter ihm, ja, beinahe neben ihm, im Abstand von wenigen Metern.
    Wer die Szene von außen betrachtete, hätte denken können, wir seien zusammen unterwegs.
    Während wir so nebeneinander herliefen, passierte mir etwas Merkwürdiges. Ich hatte das Gefühl, die ganze Szene von einem anderen Standpunkt aus zu sehen. Eine Art losgelöste Wahrnehmung, so als stünde ich auf einem Balkon hinter uns, im ersten oder zweiten Stock.
    Was ich sah, gefiel mir nicht. Es gibt computerbearbeitete Fotos, auf denen alles schwarz-weiß ist, bis auf einen Farbfleck in der Mitte: einen Gegenstand, ein Detail oder eine Person. In der Szene, die ich sah, war es andersherum: Alles war ganz normal farbig, aber in der Mitte sah man ein schwarz-weißes Etwas, das beinahe leuchtete und unendlich traurig war. Dieses Etwas war Manuelas Vater.
    Es dauerte nur einen Augenblick, aber mir gefror das Blut in den Adern wie in einem Albtraum.
    Wir kamen zu der Grünanlage an der Piazza Umberto, ließen das Universitätsgebäude hinter uns und gelangten schließlich zur Piazza Moro. Dort blieb er einen Moment beim Brunnen stehen, in Windrichtung blickend, und ich hatte den Eindruck, er wollte sich absichtlich von den Wassertropfen durchnässen lassen. Dann ließ er auch den Brunnen hinter sich, ging in den Bahnhof, steuerte zielstrebig auf die Unterführung zu, wich unten einem Bettler aus und stieg schließlich zum Gleis 5 empor.
    Auf dem Bahnsteig warteten Leute. Ich sah auf die Anzeigetafel, die den Zug ankündigte, und meine Vermutung bestätigte sich. Ferraro setzte sich auf eine Bank und zündete sich eine Zigarette an. Ich wäre am liebsten zu ihm hinübergegangen und hätte ihn um eine Zigarette gebeten. Er hatte eine Schachtel Camel, und ich hätte jetzt auch liebend gern eine schöne Camel geraucht, um mit dem Tabak und dem Papier auch die klebrige, erstickte Traurigkeit zu verbrennen, die mich befallen hatte wie eine Krankheit.
    Dann dachte ich mir, dass es nicht richtig von mir war, hier zu sein: Jemandem nachzuspionieren war an sich schon keine schöne Sache. Die innersten Winkel einer Person auszuspionieren, wo der Schmerz sitzt, der einen rasend machen kann, ist gemein und gefährlich. Schmerz kann ansteckend sein, das wusste ich schon. Aber trotzdem ging ich nicht weg. Ich blieb dort stehen, mit meinem grauen Anzug und der Aktenmappe, und wartete, dass der Zug aus Lecce, Brindisi, Ostuni und Monopoli einfuhr. Ich wartete, bis Herr Ferraro den Bahnsteig entlangging und jeden einzelnen Reisenden musterte. Ich wartete, bis die Türen sich schlossen und der Zug weiterfuhr, und ich musste mich zwingen, ihm nicht weiter zu folgen, als er wieder die Treppen zur Unterführung nahm und verschwand.
    Als ich wieder auf dem Bahnhofsplatz stand, schaltete ich das Handy ein. Während der Gerichtsverhandlung hatte ich es ausgeschaltet und dann vergessen, es wieder anzumachen. Unbewusster Selbstschutz, nehme ich an.
    Mehrere Anrufe in Abwesenheit und SMS . Eine der SMS lautete wie folgt: »Ihr handy immer ausgeschaltet habe mit nicoletta gesprochen rufen sie mich an dann erzähle ich ihnen alles kuss caterina.«

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    I ch rief sie sofort an, wobei ich versuchte nicht daran zu denken, was dieses »Kuss« am Ende der SMS in mir ausgelöst hatte.
    »Hier spricht Guido Guerrieri, ich habe deine SMS bekommen …«
    »Ich habe ganz oft angerufen, aber dein Telefon war immer ausgeschaltet.«
    Dein Telefon? Hattest du mich nicht gesiezt?
    »Ja, ich war bei einer Verhandlung und hatte es ausgeschaltet. Wolltest du mir etwas sagen?«
    »Ja, ich habe mit Nicoletta gesprochen.«
    »Und, hast du sie gefragt, ob sie mit mir sprechen will?«
    »Ich musste mehrmals anrufen. Anfangs sagte sie, dass sie nicht will.«
    »Und warum nicht?«
    »Das weiß ich nicht. Sie war ganz durcheinander

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