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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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lassen. Vielleicht hätte das nichts geändert, aber es wäre zumindest eine weitere Möglichkeit gewesen herauszufinden, was mit Manuela passiert war.
    »Sie haben nichts davon gesagt, weil sonst herausgekommen wäre, dass Sie Kokain nehmen. Sie wollten nicht, dass Ihre Eltern davon erfahren, nicht wahr?«
    Sie nickte, und ich sagte mir, dass es genau genommen nicht die Dummheit war, die ihr Handeln bestimmte. Nicoletta war eine kleine, feige Egoistin, die den Carabinieri nichts von der Sache erzählt hatte, weil sie keine Scherereien wollte. Dass ihre Freundin, Mitbewohnerin und Studienkollegin sich in Luft aufgelöst hatte, war für sie weniger wichtig als das armselige Risiko, sich vor den Eltern für ein paar – ein paar? – Prisen Kokain zu rechtfertigen.
    »Da gibt es etwas, was ich verstehen muss, Nicoletta. Bitte sagen Sie mir die Wahrheit ganz unverbrämt. Ich muss wissen, ob Manuela sich auch nach der Beziehung zu Michele in denselben Kreisen Kokain verschafft hat. Ich meine, in denselben Kreisen wie Michele.«
    »Ich schwöre, dass ich das nicht weiß. Ich habe sie einmal gefragt, wo sie das Zeug kauft, und sie sagte, das gehe mich nichts an.«
    »Wie hat sie das gesagt?«
    »Unfreundlich. Die Botschaft war: Misch dich da nicht ein. Diese Dinge gehen dich nichts an und sind noch dazu gefährlich.«
    »Haben Sie das so verstanden, oder hat Manuela es wortwörtlich gesagt?«
    »An die Worte kann ich mich nicht mehr genau erinnern, aber das war der Sinn.«
    Es folgten ein paar schweigsame Minuten. Caterina zündete sich eine weitere Zigarette an. Nicoletta fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und stieß einen tiefen Seufzer aus. Kurz dachte ich, sie würde jeden Moment in Tränen ausbrechen, aber sie tat es nicht. Ich überlegte, was ich noch aus dieser Unterhaltung herausholen könnte. Ich fand nichts, und deshalb fragte ich schließlich, ob ich Manuelas Zimmer sehen könne.
    »Von ihren Sachen ist nichts mehr da«, sagte Nicoletta.
    »Da wohnt jetzt ein anderes Mädchen, nicht wahr?«
    »Nein, die Vermieterin hat keine andere Mieterin gefunden, so dass ich hier allein wohne.«
    »Dann kann ich doch einen Blick hineinwerfen.«
    Nicoletta zuckte die Achseln und erhob sich wortlos. Manuelas Zimmer lag in der Mitte des Flurs und war, wie mir auffiel, abgeschlossen. Beim Eintreten klopfte mein Herz ein wenig schneller, als befände sich in diesem Zimmer die Lösung des Problems.
    Als stünden wir kurz vor der Auflösung.
    Aber so war es nicht. Alles war, wie Nicoletta gesagt hatte: In dem Zimmer war nichts mehr, was mit Manuela zu tun hatte. Es gab ein französisches Bett, einen Schreibtisch mit leeren Schubladen und einen ebenfalls leeren Schrank. An den Wänden hingen ein paar heitere Aquarelle, die ganz offensichtlich zur ursprünglichen Wohnungseinrichtung gehörten.
    »Und Manuelas Sachen?«
    »Zuerst sind die Carabinieri gekommen, um sie zu durchsuchen, und ein paar Wochen später hat dann Manuelas Mutter alles abgeholt.«
    Ich dachte daran, dass die Carabinieri keine Hausdurchsuchung im technischen Sinne durchgeführt hatten, denn in der Akte gab es kein Protokoll davon. Sie waren da gewesen, hatten, wie es in diesen Fällen üblich war, einen Blick hereingeworfen, nichts Interessantes gefunden und waren wieder gegangen.
    »Warum haben die Eltern das Zimmer so schnell geräumt?«
    »Die Vermieterin hatte sie gefragt, ob sie es weiter mieten wollten, und natürlich wollten sie das nicht. Also kam Manuelas Mutter mit einer Tante oder vielleicht auch einer Freundin und hat alles mitgenommen.«
    Als Nicoletta verstummte, ging ich ans Fenster und sah in den grauen, schmutzigen Hof hinunter. Ich schloss die Augen und versuchte, in diesem tristen Sechzigerjahre-Ambiente die Gegenwart, vielleicht auch eine Botschaft des verschwundenen Mädchens zu spüren.
    Gott sei Dank dauerte dieser Unsinn nur ein paar Sekunden, und weder Caterina noch Nicoletta merkten etwas davon. Löst sich dein Gehirn langsam auf, Guerrieri? Für wen hältst du dich, für Dylan Dog, den Ermittler des Okkulten?, fragte ich mich im Geiste, während ich aus dem Zimmer ging und mit mir selbst haderte.
    Zehn Minuten später, als Caterina und ich wieder auf der Straße standen, wurde es bereits dunkel.

30
    W usstest du das alles?«
    »Mehr oder weniger, bis auf die Details«, sagte Caterina.
    »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
    Wir fuhren mit dem Taxi zum Hotel zurück. Der römische Verkehr gab sich von seiner schlechtesten Seite.

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