Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
größer als eine Mitteilung über einen Anruf.
Es war ein Bestellformular des Kriegsarchivs. In einem Kästchen konnte man angeben, welche Akten man auszuleihen wünschte. Im Kästchen darunter sollte der Entleiher Namen, Datum, Telefonnummer und in bestimmten Fällen auch seine Adresse angeben.
Jon August Haugen, Fredrik Stangs gate 31 B, Oslo , las Samuel Ulfsson.
»Erklär mir das«, sagte er kurz und gab den Zettel an Carl weiter.
»Es ist gar nicht so kompliziert. Ich habe entdeckt, daß jemand Akten gestohlen hat, die in höchstem Maß das berühren, wonach wir selbst suchen. Und da habe ich mir gedacht, daß derjenige, der die Akten gestohlen hat, sie erst ausgeliehen haben muß. Dann bin ich zum Kriegsarchiv gegangen und habe nach einer ganzen Reihe von Akten gleichzeitig gefragt, und da wurde der Archivar etwas erstaunt. Er sagte, was für ein schreckliches Gerenne es plötzlich nach diesen alten Wälzern gebe. Und dann war es gar nicht mehr schwer, diese Bestellzettel zu finden. Es gibt insgesamt vierzehn bei verschiedenen Stellen, unter anderem im Reichsarchiv, wo jemand diese Polizeiakten aus Göteborg angefordert hat, und dieser Jemand ist ebenfalls Haugen. Jemand, also Haugen, hat sich die gleichen Erkenntnisse verschafft wie wir, beginnend vor zwei Jahren, und vor vier Monaten hat er damit aufgehört.«
»Was bringt dich dazu zu glauben, daß ein Mörder seinen richtigen Namen angibt?« fragte Carl skeptisch und erregt zugleich.
»Man muß sich verdammt noch mal ausweisen, wenn man sich wie ein Ausländer anhört, wenn man etwa Finnlandschwedisch spricht«, lächelte Åke Stålhandske. Er hatte seinen Akzent bei der Antwort übertrieben.
»Hast du etwas über diesen Haugen herausgefunden?« fragte Samuel Ulfsson leise.
»Nicht sehr viel«, lächelte Stålhandske, »nicht sehr viel, nur daß er in der Fredrik Stangs gate 31 in Aufgang B wohnt und daß er Fahnenjunker bei den norwegischen Streitkräften ist.«
»Wenn es so ist, daß wir wissen, wer zwei Schweden ermordet hat oder zumindest an den Vorbereitungen zu diesen Morden teilgenommen hat, ob die Schweden nun Nazis waren oder nicht, müssen wir der Polizei diese Erkenntnisse sofort mitteilen«, sagte Lennart Borgström.
»Dann erfahren wir aber nicht, warum sie ermordet wurden.
Ich habe einen anderen Vorschlag. Wir sollten erst herausfinden, warum es zu den Morden gekommen ist, dann kann die Polizei anschließend die Sache weiterführen«, sagte Carl und hatte dabei das Gefühl, als müßte er Borgström ins Bein beißen.
Es wurde erneut still im Raum. Alle sahen Samuel Ulfsson an. Er war der Mann, der die letzte Entscheidung zu treffen hatte.
»Carls Ansicht hat etwas für sich«, sagte Samuel Ulfsson schließlich. »Wenn wir herausbekommen, warum die beiden ermordet worden sind, können wir anschließend festlegen, was wir der Polizei überlassen. Außerdem haben wir eine Reihe von Möglichkeiten, die Gründe für die Morde herauszubekommen, über die die Polizei nicht verfügt. Bei allem Respekt sogar für die gewöhnliche Polizei und deinen Freund in Norrköping, Carl, wir können einiges, was die nicht können.«
»Was denn, wenn ich fragen darf?« wollte Lennart Borgström sauer wissen.
»Zwei Dinge«, fuhr Samuel Ulfsson eifrig fort. »Wir können mit den Ostdeutschen Kontakt aufnehmen. Das wäre ein Weg, zu dem Warum zu kommen. Wir können außerdem mit den norwegischen Militärs zusammenarbeiten, was die Polizei nicht kann. Hinter all dem kann nämlich eine Geschichte stecken, die sowohl den norwegischen als auch den schwedischen Nachrichtendienst etwas angeht.«
»Und wenn es nicht so ist?« beharrte Lennart Borgström.
»Nun, dann kann die Polizei den Fall übernehmen. Die Mörder müssen ja irgendwo sitzen, wahrscheinlich in dem Glauben, die schwedische Polizei sei hinter Kurden her. Die rennen weder uns noch der Polizei weg. Und es ist ohne jede Bedeutung, ob wir sie heute schnappen oder erst in einem Monat. Wir können den größten Teil unseres Materials nach Norrköping schicken. Aber nicht den Namen des Mörders. Für uns ist wirklich von Bedeutung, daß wir erfahren, warum. Und ob Otter tatsächlich mit der Sache zu tun hatte.«
Der letzte Satz war ein Versprecher, doch das ging Samuel Ulfsson zu spät auf. Der Frosch war ihm schon aus dem Mund gehüpft. Sein primäres Interesse als Chef der Firma durfte es natürlich nicht sein, einen alten Freund von einem Verdacht zu befreien. Doch jetzt war es
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