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Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder

Titel: Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Schirm gegen die Wand, damit die Beleuchtung für ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen nicht zu hart wurde.
    »Das hier ist absolut einhundertprozentiger Wahnsinn, weißt du das, geliebte Tessie«, sagte er und reichte ihr das eine Glas. Er vergoß ein wenig auf das saubere, leicht feuchte weiße Laken.
    »Natürlich«, sagte sie fröhlich, »das meiste in deinem und meinem Leben ist seit diesem dummen Streit zu absolut einhundert Prozent verrückt gewesen.«
    »Mhm. Ich glaubte damals, meinem Land und der Menschheit am besten dadurch zu dienen, daß ich dich lieber verletzte, dich wütend und eifersüchtig machte, als dir eine einfache Erklärung dafür zu geben, was ich tat. Sag mir die Wahrheit, oder du verlierst mich für immer. Ich hätte nie gedacht, daß du das wörtlich meinst.«
    »Ich hätte nicht gedacht, daß du diesem Druck widerstehen würdest.«
    »Aber das habe ich getan.«
    »Ja, das hast du getan.«
    »Ich war ein Idiot.«
    »Ja, das warst du. Ich allerdings auch.«
    Sie tranken eine Zeitlang schweigend und sahen einander an. Ihr Lächeln war ansteckend, sie fing ihn damit ein, was ihr schon immer gelungen war. Er fühlte sich plötzlich überraschend leicht, fast glücklich, als wäre er sich der Tragweite dessen, was jetzt geschah, nicht bewußt.
    »Nun«, sagte sie und hielt ihr leeres Glas hoch. »Vorhin wolltest du nicht antworten, also frage ich noch einmal. Diese Narben auf der Brust?«
    Er stand auf, ging zur Minibar und füllte ihre Gläser nach.
    Dann schüttelte er den Kopf und lachte laut auf.
    »Dann besteht die Gefahr, daß du mir nicht glaubst, und dann würden wir blitzschnell wieder im Jahr 1981 landen«, sagte er und ging zum Bett zurück.
    »Versuch’s doch mal, dann werden wir sehen«, lächelte sie.
    »Erstens bin ich neugierig, zweitens will ich alles über dich wissen, und drittens bin ich neugierig.«
    »In Ordnung«, sagte er, richtete sich auf und setzte sich im Schneidersitz hin. Er betrachtete sie mit gespielt kummervoller und forschender Miene. »Ich war zusammen mit zwei deutschen Terroristen Gefangener des palästinensischen Nachrichtendienstes. Ich hatte die deutsche Terroristenbewegung nämlich unterwandert. Aber jetzt war es so, daß die Anführerin des palästinensischen Kommandos eine Bekannte von mir war, eine wunderschöne Frau, Offizier, sie heißt… das tut nichts zur Sache. Die Deutschen wurden getötet, aber da sie und ich gute Freunde waren und überdies auf derselben Seite standen, war sie so nett, zweimal sehr vorsichtig auf mich zu schießen. Hier durchs Schulterblatt und da durch den Schenkel. Sieh mal, da sind die Austrittslöcher und da die Einschußlöcher. Und dann hat sie mir auch schnell die Brust etwas aufgeschnitten, damit es aussah, als hätte man mich gefoltert. Die syrische Sicherheitspolizei fiel auf den Bluff herein. Ich überlebte, und die westliche Demokratie siegte. Ein rundes Dutzend deutscher Terroristen konnte dann bei einer späteren, recht gut gewählten Gelegenheit zum Abschuß freigegeben werden. Wie gefällt dir diese Erklärung?«
    Sie sah ihn einige Augenblicke forschend an, bevor sie antwortete.
    »Ich halte das für die reine Wahrheit«, sagte sie sehr ruhig.
    »Wie kannst du das glauben?« fragte er provozierend, als wäre er schon im nächsten Augenblick bereit, die ganze Geschichte mit einem Lachen abzutun.
    »Ich weiß es. Es ist absolut wahr, was du gesagt hast, obwohl du nicht so empfindest, wie du erzählt hast. Ich bin nämlich Tessie, und ich kenne dich. Du hast dich nicht so verändert, wie du glaubst. Ich kenne dich bis in den letzten Winkel deiner Seele. Wir haben fast fünf Jahre zusammengelebt, falls du dich erinnerst.«
    »Mhm«, erwiderte er gedämpft, »das stimmt. Das Problem ist nur, daß du ständig Gefahr läufst, solche Geschichten zu hören, wenn du solche Fragen stellst. Und das geht einfach nicht.«
    »Nein, das geht nicht. Doch das ist nicht die Hauptsache.«
    »Was ist dann die Hauptsache?« fragte er so schnell, daß ihm die Worte entschlüpften, bevor er sie zurückhalten konnte, denn die Reue kam zu spät. Er wollte nicht so fragen, er wollte weder definitive Antworten hören noch definitive Fragen stellen.
    Sie dachte kurz nach. Dabei zeigte sich auf der Stirn eine kleine Falte, die er sehr gut kannte, seit neun Jahren aber nicht mehr gesehen hatte. Dann wischte sie den plötzlichen Kummer mit einer einzigen Handbewegung beiseite, als sie ihr Glas auf den Nachttisch stellte. Sie nahm ihm

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