Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
Bulle gewesen ist.«
»Solange sie es gewesen ist. Die Wahrheit kann dich ja den Job kosten. Hast du mal durchdacht, was es für dich bedeuten würde? Du könntest dir einen Job als Nachtwächterin suchen und nicht mal den bekommen, weil du wegen Körperverletzung vorbestraft bist. Das ist doch grotesk.«
»Ja. Aber man darf trotzdem nicht lügen. Man darf niemanden anlügen.«
Carl saß stumm da und grübelte, ob ihre Worte eventuell etwas enthielten, was er übersehen hatte. Doch da war kein Geheimnis. Sie hatte ihn nicht durchschaut, sondern sprach nur vollkommen aufrichtig über ihre Qual angesichts der Lüge.
Ihn überkam ein Impuls, ihr plötzlich alles zu gestehen, von Tessie zu erzählen, um Vergebung zu bitten und zu versprechen, er werde nie mehr, und so weiter.
Doch er tat es nicht. Er sah ihren Bauch an und kam zu dem Schluß, daß es besser war zu lügen.
6
Die »Mörder« wurden nicht weniger als dreimal festgenommen. Bei drei verschiedenen Gelegenheiten in den folgenden zwei Wochen stürmten schwerbewaffnete Polizeibeamte in Schutzkleidung in verschiedene Wohnungen und Häuser in Stockholm und Uppsala und schleiften schreiende Menschen im Lichtschein von Kamerablitzen und Fernsehscheinwerfern ins Freie.
Da es sich um Operationen der Sicherheitspolizei handelte, waren sie nicht sonderlich geheim; wie durch einen wundersamen Zufall fanden sich Übertragungswagen und Reporterautos wenige Minuten vor jedem Zugriff ein, obwohl diese Aktionen wegen des Effekts oder zumindest des Überraschungsmoments (das heißt für die Festzunehmenden) ausnahmslos in den frühen Morgenstunden erfolgten.
Die Razzien richteten sich so gut wie ausschließlich gegen rein kurdische Familien, in einigen Fällen jedoch auch gegen »Mischehen«. Es war tatsächlich vorgekommen, daß schwedische Frauen politisch aktive oder gutausgebildete Kurden geheiratet hatten oder mit ihnen zusammenlebten. Diese Männer waren aufgrund ihrer Ausbildung natürlich des Terrorismus verdächtig.
Bestimmte Verhaltensmuster wiederholten sich. Einigen der Festgenommenen hatte man mitgeteilt, sie seien verdächtig. Ihren Pflichtverteidigern wurde ein Maulkorb verordnet, so daß in den Massenmedien nichts zur Verteidigung der Verdächtigen gesagt werden konnte.
In keinem Fall konnten die vermeintlichen Terroristen länger als sechs Stunden festgehalten werden. Demnach taugten die geheimen Verdachtsmomente nicht einmal dazu, eine Verhaftung zu begründen.
Die Polizeisprecher ließen sich von dieser eigentümlich restriktiven Haltung der Staatsanwaltschaft jedoch nicht verdrießen. Die Razzien könnten keineswegs als Mißerfolg gelten, denn einmal sei man dabei, Mörder und Terroristen nach und nach einzukreisen, und andererseits gebe es noch weitere Gründe, wie der Sprecher der Reichspolizeiführung, Leif Hallberg, den manchmal etwas enttäuschten und blutrünstigen Journalisten mitteilte. Selbst wenn niemand verhaftet werden könne, habe man durch die Aktionen andere gute Wirkungen in der schwedischen Gesellschaft erzielt. Denn erstens habe die Polizei durch ihre Hausdurchsuchungen und Verhöre sowie die Bekanntgabe ihres Verdachts die Verdächtigen »vermutlich aufgeschreckt«.
Zweitens könne die Polizei mit Hilfe dieser dramatischen Maßnahmen den Verdächtigen ihre Auffassung mitteilen, »daß wir in Schweden keinen Terrorismus dulden«.
Drittens teilte das Sprachrohr der Sicherheitspolizei mit, die Publizität an sich sei beabsichtigt, da es um etwas gehe, was »in der internationalen Presse große Aufmerksamkeit erregt hat. Da ist es gut, dem Ganzen Öffentlichkeit zu geben. Daß die Abteilung (Säpo) zusätzlich noch etwas PR bekommt, kann ja nicht schaden.«
Rein juristisch waren dies sensationelle Begründungen, da sie ungesetzlich waren. Natürlich waren die rund zwanzig Familien, deren Wohnungen und Häuser verwüstet wurden und deren Habe zum Teil mitten in der Nacht in schwarzen Plastiksäcken landete, während man sie mit Handschellen in das blendende Licht der Fernsehspots hinausschleifte, »aufgeschreckt«.
Das beschlagnahmte Material bestand meist aus Druckschriften, wie die Polizeisprecher erklärten, weshalb es einige Zeit in Anspruch nehmen werde, das Material auszuwerten.
Die Druckschriften bestanden aus verdächtiger linker Literatur, obwohl die Auswahl eher stichprobenartig wirkte. So zeigte sich beispielsweise, daß man bei einem Dozenten für theoretische Physik Schriften eines gewissen K. Marx beschlagnahmt
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