Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
Krieg gewinnen. Folglich wußten sie noch nicht, daß man sie in wenigen Jahren als Schurken und Landesverräter ansehen würde oder daß sie alles vergessen und verleugnen müßten. Folglich war es denkbar, daß sie in Organisationsprotokollen als Mitglieder verzeichnet, in Vernehmungs-Protokollen erwähnt oder als Verwandte solcher Personen aufgeführt waren.
Außerdem konnte man die Verwandten interessanter Personen durchleuchten, was jetzt mit dem Einsatz von Computern leicht zu bewerkstelligen war. Vielleicht fand man so einen Sohn, einen Vater, einen Vetter oder einen Bruder.
Doch wie man es auch drehte und wendete, es war selbst mit den taktischen Beschränkungen, die Carl befohlen hatte, eine Sisyphusarbeit. Wahrscheinlich würde man die Aufgabe nie lösen können, aber die mangelnde Wahrscheinlichkeit durfte nicht zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit werden. All das war eigentlich selbstverständlich. Jetzt blieb von dem Fest nur ein schaler Nachgeschmack, da Carl gegangen war. Er hatte den Eindruck gemacht, als wäre es ihm wichtig zu gehen, und da er von selbst nichts gesagt hatte, hatten sie natürlich auch nicht gefragt. Vielleicht mußte er einen eiligen Bericht der Funküberwachung analysieren, vielleicht war es sonst etwas. Der Feind hielt sich ja nie an die regelmäßigen schwedischen Arbeitszeiten, und so erging es dem Führungspersonal wie Carl nicht anders.
Die beiden tranken weiter Whiskey in mäßigem Tempo, den sie später mit Coca-Cola mischten. Den Rest des Abends widmeten sie überwiegend kalifornischen Erinnerungen, wozu ihre Kleidung geradezu einlud.
Åke Stålhandske gab einige heldenhafte Frauengeschichten zum besten, und Joar forderte ihn damit heraus, daß er wie selbstverständlich mit einem Abenteuer konterte, das er mit einem Lehrer gehabt hatte, einem Ausbilder am Supercomputer der UCSD.
Åke hörte jedoch interessiert oder vielmehr fasziniert zu, ohne auch nur mit einer Miene zu verraten, was er bei ihrer ersten Begegnung gedacht hatte, als ihm aufgegangen war, daß der Kollege tatsächlich schwul war.
Doch jetzt schien Stålhandske einzusehen, daß es sich eben so verhielt, und außerdem waren sie immerhin Arbeitskameraden bis in den Tod und theoretisch sogar darüber hinaus; sie waren einmal zusammen dort gewesen, und das war entscheidend.
»Obwohl ich wirklich nie kapiert habe, was daran ist, in den Hintern zu ficken«, seufzte Stålhandske, als wäre es ein unendlich großes Problem. Doch zugleich blinzelte er Joar zu, daß er damit keinerlei Probleme habe, »denn ich kann schon verstehen, daß man selbst, sagen wir, ein sensationelles Erlebnis davon hat, wenn man ihn dort reinsteckt, aber ich begreife um nichts in der Welt, wie es Vergnügen machen kann, daß ein anderer ihn da reinsteckt. Nein, gib dir keine Mühe, keine Erklärungen, ich würde sowieso nichts begreifen.«
»Wenn du wüßtest, wenn du nur wüßtest«, lachte Joar Lundwall. Er war erleichtert, daß der Gegensatz zwischen ihnen endlich verschwunden zu sein schien.
Carl hatte sich angestrengt, möglichst schnell den Norr Mälarstrand entlangzugehen ohne zu laufen, damit die vereinzelten Abendspaziergänger ihn nicht entdeckten, stehenblieben und ihn anstarrten. Am Kungsholmstorg erwischte er ein Taxi, das gerade vom Taxistand losfahren wollte. Als er die Tür zum Beifahrersitz aufriß, schnauzte der Fahrer ihn an, der Wagen sei schon besetzt, änderte aber plötzlich seine Haltung, als er sich seinen abgewiesenen Kunden etwas näher ansah und entdeckte, um wen es sich handelte.
Als sie die Hantverkargatan entlangfuhren, mußte Carl sich mehr oder weniger phantastische Theorien über die Ermordung Olof Palmes anhören und sie kommentieren. Der Taxifahrer schien die Täter entweder bei der CIA zu vermuten, da Palme angeblich ein russischer Agent gewesen sei, oder bei der Sicherheitspolizei, da sie es gewesen war, die Palme bewachen sollte, was sie wahrhaftig versäumt hatte.
Carl war dieser ständigen schwedischen Diskussion mehr als überdrüssig. Er selbst ging davon aus, daß dieser Saufbold, den man angeklagt und freigesprochen hatte, wahrscheinlich schuldig war. Aber so etwas würde er natürlich nie sagen können, denn das würde nur zu Gerüchten darüber führen, was der schwedische Nachrichtendienst in Wahrheit »wußte«.
Er versuchte, vorsichtig gegen die CIA-Theorie zu polemisieren, und wies darauf hin, daß Nachrichtendienste so nicht zu arbeiten pflegten, unabhängig davon, auf welcher Seite
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