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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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… Der Dschungel ist so … irgendwie unberechenbar.«
    »Er war so verdammt scharf auf diesen Job. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Er dachte, er hätte eine Marktlücke gefunden, wir haben darüber gesprochen, dass ich mit der Zeit auch …«
    »Wie alt bist du, Micke?«
    »Fast sechzehn.«
    »Du bist fast erwachsen.«
    Er zuckte steif mit den Schultern.
    Plötzlich sah sie das Ganze wie eine Theaterszene. Sie stand auf und ging zu ihm hinunter, kauerte sich auf die Treppenstufe. Der Vogel flog in ihr Zimmer.
    Sie legte ihre Hand auf den Kopf des Jungen. Die Repliken kamen jetzt, wie sie kommen sollten.
    »Geh jetzt nach Hause und tröste deine Schwestern. Wir wollen hoffen, dass es deinem Vater gut geht, wo immer er jetzt ist. Er war ein Mann des Abenteuers, er wurde mitten aus dem Leben gerissen, wie man so sagt. Er starb, als er am glücklichsten war. Draußen in der Natur, mitten im großen Abenteuer. Meinst du, das wäre vielen vergönnt?«
    Und während sie sprach, wurde ihr klar, dass sie tatsächlich die Wahrheit sagte. Indem sie ihn, den sie so sehr liebte und der ihr am meisten bedeutete, opferte, hatte sie ihm den trivialen Alltag erspart, der sich früher oder später seiner bemächtigt hätte, wie er sich aller bemächtigte. Er würde nie gezwungen sein, nach Hause zurückzukehren, ihm blieb es erspart zu altern und zu erleben, wie der Körper mehr und mehr aufgab, bis er schließlich verschlissen und verkümmert, vergessen oder einsam irgendwo in einem Heim hockte. Er hatte in der Blüte seiner Jahre sterben dürfen. Sie hatte ihm dazu verholfen.
    Aber das Opfer war unerhört gewesen.
    Der schlaksige Körper des Jungen schüttelte sich. Er weinte laut und hemmungslos.
    Sie zog ihn an sich. Wie sie es mit seinem Vater getan hatte. Sie berührte seine Jacke, seine Haut.
    »Er war ein wirklich feiner Kerl, so stark und lieb und mutig. Ich habe noch nie jemanden so geliebt, wie ich deinen Vater geliebt habe.«
    Sie schob ihn sanft von sich.
    »Manchmal habe ich für ihn gespielt. Ich habe ein Horn … Ich könnte dir ein paar Melodien vorspielen, wenn du möchtest.«
    »Was denn für ein Horn?«, fragte er misstrauisch.
    »Ein altes Posthorn, das ich einmal geschenkt bekommen habe, als ich noch klein war.«
    »Ich weiß nicht … Kann man auf denen spielen?«
    »Ja.«
    Sie stand auf und holte das Instrument. Es war von einer Staubschicht bedeckt. Sie polierte es mit einem Rockzipfel.
    »Ich habe ein paar Mal für ihn gespielt. Er mochte es, wenn ich spielte.«
    Sie stellte sich ans Fenster und setzte das Horn an die Lippen. Während sie spielte, sah sie, wie der Junge seine Hände zu Fäusten ballte.
     
    Als er gegangen war, brach sie zusammen. Ein schrilles und gackerndes Lachen drang aus ihrer Kehle, es gelang ihr nicht, es aufzuhalten, es schoss aus ihr heraus und warf sie in Krämpfen zu Boden. Sie presste ihre Zunge an die Wand, der Geschmack von Stein, der Geschmack von Staub und Stein, aber gleichwohl dieses Lachen.
    Bis es klein gehackt wurde, sich in Weinen verwandelte.
     
    Dann waren Martinas Eltern an der Reihe. Eine wahrhaft absurde Geschichte.
     
    Hans Nästman, ein Polizist, mit dem sie oft gesprochen hatte, ließ ihr keine Ruhe damit.
    »Natürlich möchte ich sie treffen«, sagte sie. »Es ist mir nur alles so schwer gefallen. Ich bin so müde gewesen.«
    Sie wollte Martinas Eltern nicht in ihrem Haus haben. Das sagte sie Hans Nästman allerdings nicht. Sie sagte:
    »Können wir uns nicht in einem Raum bei der Polizei treffen?«
    »Ich kümmere mich darum«, versprach er.
     
    Er kam sogar zu ihr und holte sie ab. Er fuhr ein ganz gewöhnliches, neutrales Auto, er war in Zivil.
    »Sie wohnen hier wirklich schön«, sagte er und schaute auf den See hinaus. »Das Boot da unten ist nicht gerade eine Anfängerjolle.«
    »Es gehörte meinem Vater.«
    »Nicht übel. Können Sie damit umgehen?«
    »Ich bin bisher nicht sehr weit damit gefahren, nur ein bisschen hier in der nächsten Umgebung. Aber vielleicht sollte man irgendwann einmal eine längere Tour machen, zum Beispiel nach Gotland oder Åland.«
    »Da müssen Sie aber sicher noch ein bisschen üben. Haben Sie einen Bootsführerschein?«
    Er sprach Dialekt, es klang wie Värmländisch.
    Der Vogel war auf dem Speicher. Aus irgendeinem Grund wollte sie nicht, dass Hans Nästman ihn zu sehen bekam. Sie schloss die Tür ab und folgte ihm.
    Das Auto roch neu und gut. Sie dachte an ihren alten Opel, und möglicherweise entschloss sie sich

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