Gwydion 01 - Der Weg nach Camelot
musterte.
Gwyn gab ihr ein kleines Stück Schinken, das noch vom Abend übrig geblieben war, und wollte gerade wieder in den Schlafsaal zurückkehren, als er Stimmen vernahm, die die Wendeltreppe herunterhallten. Neugierig stieg er leise die Stufen empor, erst in den ersten Stock, in dem sich die große Halle befand, dann immer weiter nach oben. Schließlich gelangte er am obersten Treppenabsatz an, der in den Saal der Tafelrunde führte. Er stellte sich hinter den Vorhang, der neben dem Eingang hing, und lauschte.
„Wenn er wirklich zurückgekehrt ist, schweben wir alle in höchster Gefahr“, hörte er Sir Urfin sagen. „Gwyn hat uns berichtet, dass die Männer, die Humbert entführt haben, den grünen Drachen trugen. Ich glaube unter diesen Umständen nicht, dass es eine weise Idee ist, Merlin alleine losziehen zu lassen.“
„Seid mir nicht böse, aber ich glaube, dass ich mehr Erfolg habe, wenn ich ohne Begleitung reise.“
„Ich muss Sir Urfin leider Recht geben, Merlin. Wir wissen nicht, ob Geoffrey sein einziger Verbündeter war. Diesem Anschlag seid Ihr nur knapp entgangen, und keiner weiß, ob Ihr beim nächsten Mal wieder solches Glück haben werdet.“ Das war Sir Kays Stimme. Gwyn wusste, dass ihn diese Unterhaltung überhaupt nichts anging. Aber als der Name seines Vorgängers fiel, war seine Neugier endgültig geweckt. Vorsichtig spähte er in den Saal.
König Artur, Sir Kay, Sir Urfin und Merlin saßen an der Tafelrunde und betrachteten etwas, was vor ihnen auf dem Tisch lag. Es war das in rotes Leder gebundene Buch, das Gwyn zuvor schon bei Merlin gesehen hatte!
„Und Ihr seid sicher, dass es echt ist?“ fragte Artur.
„Der Text ist in Aramäisch verfasst, daran besteht kein Zweifel“, sagte Merlin.
„Habt Ihr ihn entziffern können?“, fragte Sir Urfin.
„Teilweise. Joseph von Arimathäas Handschrift ist so schrecklich, dass ich an vielen Stellen raten musste. Aber es ist eindeutig, worum es geht.“
„Um den Gral.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, die Artur grimmig äußerte.
„Aber warum seid Ihr so wütend, mein König?“, fragte Sir Urfin. „Das sind doch gute Nachrichten.“
„Oh, sie wären es“, sagte Merlin. „Wenn die letzten Seiten nicht fehlen würden.“
„Also müssen wir diesen Dieb Humbert finden und befreien“, sagte Sir Urfin.
„Sobald ich das Buch an einen sicheren Ort gebracht habe, werde ich nach ihm suchen.“
„Seid mir nicht böse, werter Merlin, aber wie wollt Ihr alleine gegen einen übermächtigen Feind bestehen?“, fragte Sir Urfin.
„Ich glaube, dass ein einzelner Mann mehr Glück haben wird. Es ist alles nur eine Frage der sorgfältigen Planung.“
„Aber…“, wollte Sir Kay einwenden, doch Merlin schnitt dem Hofmeister das Wort ab. „Mein Entschluss steht fest: Ich werde noch heute Nacht losreiten.“
Warum war dieses Buch so wichtig, dass man nach dem Leben des greisen Ratgebers trachtete?, fragte sich Gwyn. Was war dieser seltsame Gral?
Er fand, dass er genug gehört hatte, außerdem schickten sich die vier Männer wohl ebenfalls zum Gehen an. So leise wie möglich schlich er die Treppe hinunter, als er auch schon Schritte hinter sich hörte. In der Küche tastete er sich vorsichtig Richtung Ausgang. Dabei übersah er in der Dunkelheit den hölzernen Eimer, der neben der Feuerstelle auf dem Boden stand.
Das Poltern war ohrenbetäubend. Gwyn zuckte zusammen. Erschrocken blieb er stehen und lauschte.
„Was war das?“, zischte Sir Kay. Er hörte die Männer die Treppe hinunterstürzen. Ein Schwert wurde gezogen. Hastig kroch Gwyn unter den großen Tisch, an dem sie noch vor wenigen Stunden die Reste des Banketts vertilgt hatten, und hielt die Luft an.
„Es kam aus der Küche“, sagte Merlin. Gwyn hörte, wie sich Schritte näherten, und zog sich noch ein Stück weiter in den Schatten zurück.
Sir Kay begann, alle Ecken zu durchsuchen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er Gwyn finden würde. Was dann mit ihm geschehen würde, wollte er sich im Moment besser nicht ausmalen. Plötzlich sprang Arnolds Katze Sir Kay fauchend an. „Irgendwann bringe ich das Vieh noch einmal um“, knurrte Sir Kay, als er das Tier mit einem Fußtritt in die Flucht geschlagen hatte.
„Ich glaube, Bacchus weiß genau, wer ihn mag und wer nicht“, erwiderte Merlin süffisant.
Sir Kay schnaubte verächtlich und begab sich wieder ins Treppenhaus. Merlin wollte ihm folgen, blieb jedoch einen Moment stehen, hob die Nase und
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