Gwydion 01 - Der Weg nach Camelot
entsetzt.
„Natürlich nicht! Aber bevor wir alle fliehen, müssen wir Merlin befreien. Unser pflichtbewusster Freund da draußen wird bald wieder nachsehen, ob wir noch alle da sind. Dann wird er nur noch das Loch in der Wand sehen und denken, wir haben diesem gastlichen Ort den Rücken gekehrt. Mit ein wenig Glück ist er so dumm und öffnet die Tür, um die Zelle zu durchsuchen. Das ist der Moment, in dem wir ihn überwältigen und uns auf die Suche nach Merlin machen.“
„Und was ist, wenn er erst Alarm schlägt?“, fragte Gwyn ängstlich.
„Dann, würde ich sagen, haben wir ein echtes Problem“, antwortete Sir Urfin trocken.
Sie trugen den stöhnenden Humbert zur gegenüberliegenden Seite des Raums, die im toten Winkel lag. Dann hockten sie sich zu ihm und warteten.
Es dauerte nicht lange und sie hörten Schritte näher schlurfen. Die Wache schien bester Laune sein, denn sie pfiff ein Lied, als sie die Luke öffnete. Das Pfeifen erstarb augenblicklich. Hastig wurde der Riegel beiseite geschoben und der Mann stürmte hinein.
Bevor er wusste, wie ihm geschah, war Sir Kay bei ihm und streckte ihn mit einem gezielten Schlag nieder. Er nahm dem Bewusstlosen eilig den Schlüsselbund ab.
„Rowan, du und Gwyn, ihr bleibt hier und wartet auf uns. Sir Urfin und ich machen uns auf die Suche nach Merlin. Wenn wir nicht bald wieder zurück sind, werdet ihr durch das Loch fliehen und alleine versuchen, Camelot zu erreichen.“
„Aber…“
„Das ist ein Befehl! König Artur muss unter allen Umständen gewarnt werden. Ist das klar?“ Dann rannten die beiden Männer los.
Gwyn und Rowan hatten den Wächter gefesselt und geknebelt und warteten. Es waren Augenblicke voller Ungewissheit, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkamen. Gwyn lauschte immer wieder in die Stille, doch war kein Laut zu hören, was eigentlich ein gutes Zeichen war.
Humbert hustete immer wieder im Schlaf. Der alte Ritter war nur noch ein Schatten seiner selbst, stellte Gwyn besorgt fest. Er war schon vorher nicht besonders stämmig gewesen, doch nun spannte sich die dünne Haut über erstaunlich spitzen Knochen. Die Augen lagen tief in den Höhlen und bewegten sich unter den geschlossenen Lidern fiebrig hin und her. Auch sein Geist musste schon umnebelt sein, denn nur so konnte sich Gwyn die Warnung erklären, die Humbert ausgestoßen hatte. Wieso sollte er sich vor Sir Urfin in Acht nehmen?
Plötzlich hörten sie Kampflärm und laute Rufe! Gwyn und Rowan schreckten hoch und schauten in den niedrigen Gang.
„Da sind sie!“, rief Gwyn. „Und sie haben Merlin!“
Tatsächlich hatte Sir Kay ein lebloses Bündel geschultert. Von den Schwertern, die sie sich offenbar wiedergeholt hatten, tropfte dunkelrotes Blut.
„Schnell“, keuchte Sir Kay. „Wir müssen uns beeilen. In wenigen Minuten wird hier der Teufel los sein.“ Hinter ihnen begann dichter Rauch den Gang zu füllen. Rowan kroch als Erster durch das Loch und zog Humbert bei den Armen heraus. Dann folgte Gwyn.
Sir Kay hatte größere Schwierigkeiten, durch das enge Loch zu kriechen, das für die beiden Jungen gerade ausgereicht hatte. Doch nachdem er sich wie ein Aal hin und her gewunden hatte, war auch er schließlich durch. Merlin hingegen machte keine Probleme, die begannen erst mit Sir Urfin.
Tatsächlich gelang es ihm, mit Ach und Krach Arme und Schultern hindurch zu stecken, dann saß er fest. Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Gwyn bei diesem Anblick lachen müssen.
„Verdammt noch mal, zieht mich heraus!“
Gwyn packte eine Hand und begann mit aller Kraft an ihr zu zerren, doch der massige Leib bewegte sich keine Handbreit. Rowan sprang ihm bei und gemeinsam versuchten sie es erneut, doch vergebens. Sir Urfin rang nach Luft.
„Kay! Was soll das? Helft mir!“
Sir Kay schien einen Moment zu überlegen – einen sehr langen Moment, wie Gwyn fand. Schließlich packte er den Ritter an den Schultern und zog mit aller Gewalt. Mit einem lauten Schmerzensschrei fiel Sir Urfin aus dem Loch. Hinter ihm drang dicker Qualm aus der Öffnung. Nach Atem ringend blieb Urfin am Boden liegen. Sein Rock war am Rücken zerrissen und Blut sickerte aus mehreren Schürfwunden.
„Das war aber auch höchste Zeit“, keuchte er.
„Ihr seid ganz schön fett geworden“, sagte Sir Kay ungerührt.
„Ich glaube kaum, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, über meine Leibesfülle zu diskutieren. Wir müssen sehen, dass wir so schnell wie möglich von hier verschwinden. In Kürze
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