Gwydion 03 - König Arturs Verrat
endlich nach dem Grund dafür fragte.
„Alle Frauen sind Töchter der großen Göttin“, sagte Agrippina, als würde sie etwas ganz Selbstverständliches erklären.
„Ihr seid keine Christin?“, fragte Lady Wenna.
„Nein, ich bin eine Anhängerin des Dianakultes.“
„Ah, die römische Göttin der Jagd“, sagte Rowan mit schwerer Zunge, der sichtlich stolz darauf war, mit seinem Wissen glänzen zu können.
Agrippina lächelte. „Ja, das ist sie, doch ihre Ursprünge liegen noch viel weiter in der Vergangenheit. Bei den Griechen hieß sie Artemis und war die Göttin der Freiheit, des Wissens und der weiblichen Kraft. Sie konnte aber auch die Göttin des Krieges, des Zorns und der Rache sein. Sie ist die Magna Mater, die große, allumfassende Mutter. Alle Frauen in unserer Familie dienten ihr. Valeria und ich haben immer sehr viel Wert auf unsere persönliche Freiheit gelegt, auch und gerade wenn es um Männer ging.“
„Aber wie konntet Ihr dann jemandem wie Sir Gore auf den Leim gehen?“, fragte Lady Wenna.
„Vielleicht, weil mich die Liebe blind gemacht hat.“ Agrippina seufzte. „Ich habe gedacht, dass ein Mann von solcher Bildung niemals ein Barbar sein konnte. Ich habe seine Gesellschaft genossen. Er war geistreich, witzig, belesen – und ein guter Liebhaber.“ Sie schwieg einen Moment nachdenklich. „Und dennoch hat ihn das nicht daran gehindert, mich all die Jahre zu quälen. Da kann jemand ganze Passagen von Ovid im Original zitieren und trotzdem tiefer als ein Tier stehen.“
„Also seid Ihr keine Christin?“, wiederholte Lady Wenna nachdenklich.
„Nein. Der Mann ist Gottes Bild und Abglanz, die Frau aber ist des Mannes Abglanz, das sagte der Apostel Paulus. Dieser Mann muss uns Frauen wahrlich gehasst haben.“
„Wenn Ihr keine Anhängerin des Christentums seid, wie kommt es dann, dass Ihr eine ihrer größten Reliquien bewahrt?“
„Das eine schließt das andere nicht aus. Seit Anbeginn der Zeit verehren die Menschen die große Göttin. Man nennt sie Isis, Ishtar oder Gaia, Diana, Astarte oder Freya. Sie alle sind Verkörperungen der alten Fruchtbarkeitsgöttin, denen die Heilerinnen auch in diesem Land noch immer huldigen. Joseph von Arimathäa kannte Paulus, und er ahnte, in welche Richtung er die Kirche lenken würde. Er verteufelte die Frauen, sprach ihnen die Freiheit und ihre Selbstbestimmung ab. Joseph ahnte, dass er keine friedliche Kirche schaffen würde, die in Einklang mit den alten Religionen leben würde. Jesus hatte sich eine Religion des Friedens und der Versöhnung gewünscht, die auf der Gleichheit aller Menschen basierte. Joseph hat den Gral und die Lanze vor Männern wie Paulus versteckt! Warum sonst hätte er die gefahrvolle Reise nach Britannien unternehmen sollen? Aus Angst vor den Römern? Für die waren die Christen zu diesem Zeitpunkt eine unbedeutende jüdische Sekte.“
„Der Gral“, sagte Lancelot. „Gibt es ihn wirklich?“
Agrippina schwieg einen Moment. „Ja. Er existiert“, sagte sie schließlich.
„Wenn Ihr ihn in Händen gehalten habt, wisst Ihr wie er aussieht. Könnt Ihr den Gral beschreiben?“
Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. „Er ist… wunderschön.“
„So schön wie Ihr?“
Agrippina lachte laut auf. „Sir Lancelot, Ihr seid ein Schmeichler. Aber gestattet mir die Frage: Was würdet Ihr mit ihm tun, wenn er sich in Eurem Besitz befände?“
„Nun, es käme darauf an, welche Macht er hat!“, sagte er lächelnd.
„Sterbenden haucht er neues Leben ein. Lebenden schenkt er die Unsterblichkeit.“
„Ich würde jeden, den es danach verlangt, daraus trinken lassen“, sagte er, als sei die Antwort selbstverständlich.
„Auch Mordred?“
Lancelot schnaubte. „Natürlich nicht.“
„Warum?“
„Das liegt doch auf der Hand. Er ist die Verkörperung des Bösen schlechthin.“
„Das Gute und das Böse, könnt Ihr es immer voneinander unterscheiden?“
„Ich denke schon.“
„Wenn jemand ein Kind töten müsste, um tausend andere Kinder zu retten, ist er dann ein Mörder?“
„Nein. Welch eine seltsame Frage!“
„Glaubt Ihr, dass die trauernde Mutter ebenso dächte?“
Lancelot wollte etwas darauf erwidern, schwieg dann aber betroffen.
„Seht Ihr, das ist der Grund, warum der Gral und die Lanze niemals in die Hände eines Menschen fallen dürfen, der sich seiner Sache so sicher ist wie Ihr. Ihr seid kein Zweifler, genau wie König Artur.“ Mit diesen Worten stand Agrippina auf. „Schwester,
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