Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
der, nachdem er die beunruhigenden Nachrichten vernommen hatte, eine Versammlung aller Dorfbewohner einberufen hatte. Gwyn schaute in die ängstlichen Gesichter der Männer, Frauen und Kinder, die noch nie einen Krieg erlebt hatten und nun nicht wussten, was sie tun sollten. Diese Menschen konnten nicht kämpfen. Sie beherrschten das blutige Handwerk des Tötens nicht und würden es so schnell auch nicht lernen.
„Ich habe keinen Rat für euch“, gab Gwyn zu. Ein angstvolles Gemurmel hob an.
Eine Frau im Gewand einer Witwe stand auf. Auf dem Arm hielt sie einen Säugling. Sechs weitere Kinder hockten zu ihren Füßen, das älteste mochte gerade elf Jahre sein. „Und wenn Ihr hierbleibt, um uns zu beschützen?“, fragte sie mit einem ängstlichen Zittern in der Stimme.
„Selbst dann wären wir hoffnungslos unterlegen. Außerdem müssen wir Weiterreisen“, sagte Gwyn mit aufrichtigem Bedauern. „Es tut uns leid.“
„Im Gegensatz zu den Bauern, die im Inneren des Landes leben und sich nur in den Wäldern verstecken können, bleibt euch noch eine andere Möglichkeit des Rückzugs“, sagte Muriel. „Ihr habt noch eure Boote. Euch bleibt das Meer.“
Einer der Fischer lachte bitter auf. „Das Meer? Wie stellt ihr euch das vor? Sollen wir den Rest unseres Lebens auf hoher See verbringen?“
„Natürlich nicht“, sagte Katlyn. „Segelt nach Gallien, wie es schon andere vor euch getan haben.“
„Wir sollen fliehen?“
„Ja.“
„Und alles aufgeben?“
„Ihr habt keine Wahl. So oder so werdet ihr euer Hab und Gut verlieren. Doch wenn ihr flieht, behaltet ihr wenigstens euer Leben.“
„Wer ist diese Frau, die fast noch ein Kind ist?“, rief der Fischer aufgebracht. „Wie kann sie uns derartige Ratschläge geben? Was hat sie schon vom Leben gesehen?“
„Mehr als ihr, glaubt mir“, sagte Gwyn grimmig.
Der Mann verstummte und setzte sich wieder hin.
„Ihr solltet keine Zeit verlieren. Packt eure Habseligkeiten zusammen und brecht am Morgen auf“, sagte Katlyn.
„Aber vielleicht kann man ja mit diesem Mordred verhandeln“, rief ein anderer Mann verzweifelt. „Wir könnten ihm Tribut entrichten oder aber…“
„Mit Mordred werdet ihr nicht verhandeln können“, schnitt ihm Lancelot das Wort ab. „Oder habt ihr schon einmal einen Wahnsinnigen alleine durch die Macht der Vernunft besänftigen können? Glaubt mir, es ist das Beste, ihr packt eure Sachen und verschwindet von hier. Oder sterbt. Ihr seid gewarnt.“
Ratloses Schweigen war die Antwort. Schließlich stand ein anderer Mann auf. „Ich weiß nicht, wie es mit euch steht, aber ich denke, die Fremden haben Recht.“
„Aber woher willst du wissen, dass es uns in Gallien besser ergeht?“, rief da wieder der aufgebrachte Fischer.
„Ich weiß es nicht. Aber glaube mir, diese Ungewissheit ziehe ich noch immer dem sicheren Tod vor.“ Mit diesen Worten verließ er mit seiner Familie die Versammlung. Andere folgten seinem Beispiel, bis nur noch der Dorfälteste bei Gwyn stand.
„Ich danke Euch, auch wenn Ihr schlechte Nachrichten gebracht habt“, sagte er. „Doch ohne Eure Warnung wären wir wohl hiergeblieben und somit dem Untergang geweiht gewesen. Gibt es etwas, was ich im Gegenzug für Euch tun kann?“
„Wir würden gerne unsere Vorräte aufstocken.“
„Nehmt, was Ihr braucht. Das Jahr war ertragreich und unsere Scheuern sind voll. Vermutlich werden wir sowieso einen Teil der Vorräte zurücklassen müssen.“
„Dann verbrennt sie“, sagte Lancelot.
„Wie bitte?“, fragte der alte Mann erschrocken. „Aber das käme einer Todsünde gleich!“
„Die man euch verzeihen wird“, entgegnete Lancelot. „Aber ihr solltet keine eurer Vorräte in die Hände unserer Feinde fallen lassen. Hinterlasst nichts, was ihnen nützen könnte.“
Der Dorfälteste schluckte und nickte dann. „Vermutlich habt Ihr Recht. Ich werde alles Nötige veranlassen.“ Er eilte davon.
Lancelot seufzte. „Sieht so aus, als sei das Ende der Welt ein Stück näher gerückt.“
Wie sehr Lancelot mit diesen Worten Recht haben sollte, erfuhren sie am nächsten Morgen, als sie zusammen mit den anderen Dorfbewohnern in See stachen. Während die Fischerboote Kurs nach Süden nahmen, segelte Lancelot weiter nach Osten.
Wenige Stunden später wussten sie, dass der Feind näher war, als sie befürchtet hatten. Vor ihnen stiegen wieder jene unheilvollen schwarzen Rauchschwaden auf, die sie schon an Cornwalls Küste gesehen hatten. Doch
Weitere Kostenlose Bücher