Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
Überlebenden dahinrafften. Die Verbliebenen flohen zum zweiten Mal. Diesmal vor den Hunden.“
„Wo sind sie jetzt?“, fragte Lancelot.
„Ein Stück flussaufwärts gibt es ein Dorf, in dem diese armen Kreaturen leben. Einmal bin ich dort gewesen, um die Kranken zu pflegen oder ihnen Trost zu spenden. Aber sie haben meine Hilfe nicht gewollt. Ein schrecklicher Ort, schlimmer als dieser verfluchte Ort hier, obwohl man sich das gar nicht vorzustellen vermag.“
Roderick sammelte die halb geleerten Schalen wieder ein und stutzte, als er in Katlyns Gesicht blickte. Er nahm eine Öllampe, die an einem Haken von der Wand gehangen hatte, und betrachtete sie genauer. „Ich kenne Euch! Habt Ihr einst in Londinium gelebt?“, fragte er unvermittelt.
Sie nickte.
Dann erschien ein Ausdruck des Erkennens auf Rodericks Gesicht. „Ihr seid eine der Enkelinnen des Enric!“
„Ja, die Jüngste!“, erwiderte sie. „Ich habe gleich gewusst, dass ich Euch schon einmal gesehen habe! Nur hattet Ihr da noch mehr Haare auf dem Kopf…“ In ihrer Stimme schwang kindliche Freude mit. „Artur hatte mir einmal erzählt, dass uns ein Kirchenmann bei der Flucht aus Londinium geholfen hat.“ Katlyn hob einen Finger und zeigte auf Roderick. „Nun, das ist er. Ohne Roderick würde ich nicht mehr leben.“
Gwyn runzelte die Stirn. Katlyn musste immer noch unter dem Schock dieses Abends stehen. Hatte sie ihm nicht erzählt, dass sie sich weder an die Zeit in Londinium noch an den Überfall der Sachsen erinnerte? Und doch musste sich das Grauen tief in ihre Erinnerungen gegraben haben. So tief, dass es jetzt, zurückgekehrt an den Ort des Schreckens, wieder Gestalt annahm. Gwyn dachte an die Kinder, die von den Sachsen ans Ufer der Thamesis getrieben worden waren und ihm wurde elend zumute.
„Ich weiß noch, Euer Vater war im Besitz einer beeindruckenden Bibliothek. Immer wieder hatte ich versucht, ihn zu einer Schenkung an die Kirche zu überreden, doch die Bücher waren sein Schatz, den er niemals aufgeben wollte. Wie geht es ihm und seiner Familie?“
„Meine Familie ist tot, doch die Bücher wurden gerettet“, erwiderte Katlyn traurig.
Roderick zuckte zusammen, als hätte ihn ein Blitz getroffen. „Aber… wie konnte das geschehen? Ihr hattet die Stadt doch schon längst verlassen!“
„Wir waren zu langsam. Immer wieder versanken die Ochsenkarren im Morast.“ Sie versuchte zu lächeln. „Ihr wisst doch, schon damals waren die römischen Straßen in einem schlechten Zustand. Wir hatten Camelots Grenzen fast erreicht, als uns die Sachsen doch noch einholten. Nur ich überlebte, weil Artur und Merlin rechtzeitig zur Stelle waren.“
Rodericks Lächeln erstarb. „Der König der Tafelrunde hat vom Überfall der Sachsen auf Londinium gewusst?“
„So hat er es mir erzählt.“
Roderick biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. „Dieser Hund!“ zischte er. „Dieser blutschänderische Bastard!“ Er packte Lancelot beim Waffenrock. „Die Tafelrunde hat von diesem Morden gewusst und ist uns nicht zu Hilfe geeilt?“
„Das weiß ich nicht“, sagte Lancelot kühl. „Damals war ich nicht auf Camelot.“
Roderick rang schwer atmend um Fassung. Schließlich lockerte er den Griff. „Mir war schon immer klar, dass Artur ein selbstgefälliger Halunke ist, der sich nur um das schert, was in seinem eigenen kleinen Reich geschieht.“
„Das ist nicht wahr!“, rief Gwyn. „Ist es nicht so, dass er den ersten großen Angriff der Sachsen fast im Alleingang zurückgeschlagen hatte?“
„Oh ja!“ Roderick schnaubte verächtlich. „Die ruhmreiche Schlacht von Bedegraine. Damals stand aber für ihn noch einiges auf dem Spiel.“
„Und was?“, wollte Gwyn wissen.
„Die Königswürde“, rief Roderick, als sei sein Gegenüber begriffsstutzig. „Das war seine Feuertaufe! Damit sicherte er sich endgültig jenen Landstrich, über den er dann die nächsten Jahre so selbstgefällig herrschen sollte. Artur, der Gerechte, dass ich nicht lache! Artur, der Zauderer, träfe die Sache besser! Wusstet Ihr, dass man ihm die Krone Britanniens auf dem Silbertablett präsentierte, ja, ihn geradezu anflehte sie anzunehmen, er sich aber erst Bedenkzeit erbeten hatte? Als er sich schließlich entschieden hatte, das Angebot zu akzeptieren, war die letzte Chance vertan, die Sachsen endgültig zu besiegen. Ohnehin wäre dieser aufgeblasene Wichtigtuer nichts ohne seinen Ratgeber, diesen Myrrdin, gewesen.“
„Merlin“,
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