Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
vergessen.“
„Ah, wie schön, du hältst es noch in Ehren!“ Urfin hielt ein kleines Säckchen hoch und schüttelte es. „Aber ich habe mir schon längst Ersatz besorgt. Nun komm, du bist mir noch eine Partie schuldig.“
Er klappte das Brett auf und streckte Gwyn zwei Fäuste entgegen. „Rechts“, sagte Gwyn seufzend und Urfin öffnete die Hand.
„Weiß. Wunderbar, du beginnst.“
Gwyn ließ sich schwerfällig auf den Boden nieder und holte einen Streifen getrockneten Fleisches aus seinem Proviantsack. „Ich hoffe, es stört Euch nicht, wenn ich in der Zwischenzeit etwas esse.“
„Nein, überhaupt nicht. Gab es in der Zwischenzeit die eine oder andere Gelegenheit, die du für eine Partie nutzen konntest?“
„Lancelot ist ein ziemlich guter Spieler“, sagte Gwyn mit vollem Mund und machte den ersten Zug mit dem Damenbauer.
„Oh, Lancelot. Ja, ich erinnere mich. Mit ihm ist das königliche Spiel eine höchst interessante Angelegenheit. Er ist sehr angriffslustig.“ Nun bewegte Urfin eine Figur. „Dein Zug.“
„Angriffslustig ist eine harmlose Umschreibung dessen, was er mit seinem Gegner macht. Ich würde es eher eine Metzelei nennen. Im Vergleich zu mir ist Lancelot ein Berserker.“
Seitdem sie Dinas Emrys verlassen hatten, schien jede Nacht ein voller Mond vom sternenklaren Himmel. Es war zwar hell, doch hatte Gwyn mitunter Schwierigkeiten, Urfins schwarze Spielfiguren auf den dunklen Feldern zu erkennen.
„Haben dir also er, Tristan und Degore den Treueid geleistet?“
Gwyn nickte. Er zog seinen Springer so, dass er langsam Urfins Dame ins Visier nahm. „Ja, nachdem Artur es jedem Ritter freigestellt hatte, die Tafelrunde zu verlassen, haben sie sich mir angeschlossen.“
„Dir angeschlossen. Soso“, sagte Urfin nachdenklich und brachte nun seinen Turm ins Spiel. „Dinas Emrys ist Camelot sehr ähnlich. Ich vermute, dass das Absicht ist“, sagte Urfin. „Auch die Idee der Tafelrunde scheinst du übernommen zu haben. Du hast sogar Orlando und Cecil zu Rittern geschlagen.“
„Hätte ich Euch vorher um Erlaubnis fragen sollen?“, sagte Gwyn spöttisch und schlug mit seinem Springer den Läufer, der Urfins Dame deckte.
„Jedenfalls hast du eine gute Wahl getroffen“, sagte der Ritter, wobei er verzweifelt nach einem Rückzugsfeld für seine Dame zu suchen schien. „Von allen Knappen waren sie die besten. Sie sind treu, zuverlässig und wahrlich nicht auf den Kopf gefallen.“
„Dann muss ich mich bei Euch bedanken“, sagte Gwyn sarkastisch. „Dies Urteil aus Eurem Mund ist mehr wert als jeder Ritterschlag. Ihr habt mir übrigens gerade Eure Dame ausgeliefert.“
Urfin blickte vom Spielfeld auf. „Darf ich dir eine Frage stellen?“
„Nein, dürft Ihr nicht.“
„Wie war es für dich, als du erfahren hast, wer du wirklich bist?“
„Nicht einfach“, antwortete Gwyn einsilbig.
„Das kann ich mir denken. Du trägst eine unglaubliche Verantwortung. Aber weißt du was? Ich bin der festen Überzeugung, dass du diese Last besser als jeder andere tragen wirst. Du hast das Zeug zu einem großen König. Nur zu dumm, dass du der Einzige bist, der da anderer Meinung zu sein scheint. Ich könnte mir sogar vorstellen, mich in deine Dienste zu stellen. Du verkörperst das, was Artur in all den Jahren verloren hat: Treue, Bescheidenheit und Menschenliebe. Hast du den alten König eigentlich noch einmal gesehen? Wie geht es ihm? Ich meine, geistig? Als ich Camelot verließ, zeigte er schon erste Zeichen von Altersstarrsinn. Oder war es vielleicht doch Wahnsinn, wie bei seinem verfluchten Sohn? Irgendwie scheint das ja in der Familie zu liegen. Wenn ich dabei an Aileen denke…“ Er schüttelte sich. „Selten habe ich einen Menschen gesehen, der berechnender war als sie. Brillant wie ein Diamant, aber ebenso kalt. Glaub mir, uns ist eine schreckliche Königin erspart geblieben.“
„Sir Urfin“, sagte Gwyn, den Blick noch immer starr auf das Brett gerichtet.
„Ja, Gwyn?“
„Haltet einfach den Mund.“ Er zog seine Dame vor und brachte so den schwarzen König in eine ausweglose Lage. „Schachmatt, übrigens“, sagte Gwyn erfreut. Zum ersten Mal hatte er seinen Meister besiegt. Er hoffte, dass das für den kommenden Tag ein gutes Omen sein würde.
In den späten Nachmittagsstunden des darauffolgenden Tages kam Cadbury in Sicht. Gwyn und Urfin suchten im angrenzenden Wald Deckung, um die Lage zu erkunden.
„Mordreds Armee ist noch nicht eingetroffen“, stellte
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