Gymnasium - Ein Ratgeber fuer Eltern
in den meisten Fällen wahrscheinlich so aus: »Bist du immer noch nicht fertig mit dem Hausaufsatz? Wie willst du das eigentlich in der Klassenarbeit schaffen, wenn du so langsam bist?«
In 99 von 100 Fällen haben Sie dann allerdings ein maulendes Kind (»Ich kann halt keine Aufsätze schreiben, sag doch gleich, dass ich dumm bin!«), ein schlechtes Gewissen (weil Ihnen natürlich klar ist, dass Vorwürfe nicht weiterführen) und immer noch keinen fertigen Hausaufsatz (weil zwischenIhnen und Ihrem Kind erst einmal herumdiskutiert wird).
Ganz anders dagegen, wenn Sie beispielsweise sagen: »Gut, dass du so gründlich an den Hausaufsatz herangehst. Und wie sieht es mit der Zeit aus? Denk bitte dran, wir wollen heute noch …« (Hier setzen Sie vielleicht etwas ein, was Ihnen beiden Freude macht.) Damit haben Sie durch überlegtes Umetikettieren ein positives Klima geschaffen, das nicht nur Ihr Kind motiviert. Es motiviert Sie beide.
■ Ist das einen Krach wert?
Bitte wägen Sie genau ab: Hat eine unerledigte Hausaufgabe wirklich eine so hohe Bedeutung, dass man es zu einem Krach kommen lassen sollte – mit Tränen, Vorwürfen und den üblichen Begleiterscheinungen? Und dem Ergebnis, dass am Schluss doch wieder die ganze Familie über den Hausaufgaben brütet, nur damit der nächste Schultag »gerettet« ist? Sind Hausaufgaben das wirklich wert?
Wie bei jedem Problem sollte am Anfang auch hier eine kurze Analyse stehen: Schafft mein Kind die Hausaufgaben nicht, weil es überfordert ist, weil es im Moment gravierende Probleme hat, für die es seine ganze Energie braucht, oder liegt die Ursache darin, dass die Hausaufgaben einfach zu umfangreich sind? Um das richtig einschätzen zu können, bräuchten Sie einen Einblick in den Vormittag Ihres Kindes und eine Antwort auf die Frage: Wie ist diese Menge an Aufgaben überhaupt zustande gekommen? Auf dem Stundenplan stehen beispielsweise Deutsch, Englisch, Mathe, Bio und dann zwei Stunden Sport. Folgende Konstellation ist vorstellbar:
Der Deutschlehrer
hat sich über die Unruhe in der Klasse geärgert und mehrmals angedroht: »Wenn ihr nicht leise seid, müsst ihr nicht nur eine Einleitung, sondern auch noch den Hauptteil des Aufsatzes schreiben!« Diese Drohung macht erwahr, denn als Pädagoge weiß er: Was man ankündigt, muss man umsetzen. Doch dadurch ist die erste Hausaufgabe an diesem Tag bereits so umfangreich, dass die meisten Schüler schon damit ausgelastet sind – vorausgesetzt, sie erledigen diese Hausaufgabe ordentlich.
Der Englischlehrer
will in der nächsten Woche eine Klassenarbeit schreiben und stellt fest, dass die Klasse dafür wichtige Voraussetzungen noch nicht erfüllt. Also packt er alles Notwendige in die Hausaufgabe, was an sich nicht verkehrt ist, denn die Schüler sollen den Stoff ja beherrschen.
Der Mathelehrer
ist sich darüber im Klaren, dass ohne ständiges Einüben gar nichts geht, also gibt auch er Hausaufgaben auf.
Der Biolehrer
ist an diesem Tag gnädig und gibt nur eine mündliche Aufgabe (wobei man leider davon ausgehen muss, dass kaum einer sie machen wird, denn viele Schüler denken wie Christopher: »Mündliche Aufgaben sind ja überhaupt keine richtigen Hausaufgaben. Und die machen eh nur die Mädchen, wenn überhaupt. Und außerdem kann der Lehrer das gar nicht nachprüfen.«).
An diesen Beispielen erkennen Sie, dass Hausaufgaben zwar meist ihre theoretische Berechtigung haben, aber in den praktischen Auswirkungen fatal sein können, wenn sie – zusammengenommen – für die Schüler eine enorme Belastung darstellen.
Diese Belastung ließe sich reduzieren oder sogar ganz vermeiden,
wenn sich die Fachlehrer untereinander absprechen und nicht in jedem Fall zwanghaft Hausaufgaben geben würden, nur damit der Sache Genüge getan ist. Häufig reicht es nämlich schon, wenn der Fachlehrer im Klassenbuch in der Spalte »Hausaufgaben«
detailliert
einträgt, was er aufgegeben hat, damit die Kollegen in den nachfolgenden Stunden informiert sind und den Umfang ihrer Hausaufgaben entsprechend bemessen. Allerdings ist fraglich, ob der Deutschlehrer durch den Eintrag des Chemielehrers»Übung 3 – 5« wirklich wissen kann, wie lange ein Schüler dafür braucht;
wenn sich die Lehrer klarmachen würden, dass für Schüler die Arbeit in den meisten Fällen wesentlich mühsamer ist als für sie selbst. Kaum ein Lehrer macht sich nämlich ernsthaft darüber Gedanken, wie viel Zeit ein durchschnittlich
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