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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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einzuschlagen.
    Redakteur, 1923
    Im Krieg wohnten wir in Heilbronn. Und oben, in der Mansarde, wohnte ein Ehepaar mit einem Sohn, und der Mann war Feldjäger, und der kam eines Tages auf Urlaub und schien meinem Vater erzählt zu haben, was da los war in der Ukraine und in Polen. Er tat so, als sei er mit den Nerven herunter.
    Mein Vater hielt sich mit der Ansicht hoch, daß man hart sein müsse, durchhalten und so weiter. Und als der Feldjäger wieder nach Polen mußte, waren sie völlig besoffen, und mein Vater trommelte ihm im Takt auf die Schenkel und sang dazu irgendwelche Lieder.
    Vertreter, 1920
    Gesehen nicht, gehört habe ich einmal was. 1943 muß das gewesen sein, da hat in einem Urlauberzug einer erzählt, daß da in Rußland viele Juden umgebracht worden sind. Er habe das nicht selbst gesehen, nur gehört. Man hätte die zu Tausenden erschossen, und das wollte natürlich keiner glauben, und man hat ihm vorgeworfen: » Das hast du ja nicht selbst gesehn.«
    Beamter, 1920
    Im Osten hab’ ich davon gehört. » Hast du das selbst gesehen?« hab’ ich jedesmal gefragt.– » Nein.«– » Dann glaub’ ich das nicht.«
    Komparse
    Ich kam öfter mal nach Paris, da sah ich Plakate an den Häuserwänden, auf denen stand, daß wegen der Ermordung deutscher Soldaten soundso viele Geiseln erschossen worden seien.
    » Wo nehmen sie denn die her?« hab’ ich gefragt.
    Das waren Leute, die irgendwie aufgefallen waren und sowieso schon saßen, die haben sie dann erschossen.
    Das war aber den Widerstandskämpfern bekannt, daß das passieren würde. Darum haben sie sich nicht gekümmert. Denen war der Tod unschuldiger Menschen an und für sich doch vollkommen egal.
    Journalist, 1923
    Man ahnte es. 1943 war ich in Wien, da gab es noch einige wenige Juden, die mußten vom Bürgersteig runter und einen Bückling machen vor uns, das Gesicht zur Erde gewandt.
    Wir Landser sagten manchmal: » Ich reiß dir den Arsch auf bis zur Vergasung.« Kann sein, daß dieser Ausdruck aus dem Ersten Weltkrieg kam. Kann aber auch sein, daß das wegen der Judensache gesagt wurde.
    Einmal war ein Gerücht: Die kommen nach Polen, da soll ein neuer Staat gegründet werden. Da vermischte sich wohl etwas mit der Zionistengeschichte. Das war einem gar nicht klar: So viele Juden, das ging ja gar nicht.
    Lehrer, 1930
    Meine Frau hat das so an einem Zipfel mitbekommen. Ihr Vater war in Prag bei der Reichsbahn, und die Transporte gingen über Prag, die Transporte mit den Juden. Und da hat sie mal einen Transport gesehen.
    Hausfrau, 1925
    Man hat manchmal auf den Bahnhöfen Züge gesehen, Waggons mit Schlitzen. Da konnte man Menschenköpfe sehen. Man hat’s gesehen, es hat einen geschauert.
    Polizist
    Deportationszüge hab’ ich wiederholt gesehen, die waren streng bewacht. » Da ist wieder so ein geheimnisvoller Zug«, dachte man, » wo mag der hingehen?«
    Das waren Viehwagen. Juden aus Holland, 1943/44. Ich war bei der Eisenbahnflak, wir wurden überall angehängt, gegen die Flieger.
    Tischler
    Nein. Aber 1943 hab’ ich einen Offizier gesprochen, der mit einem Polen gesprochen hat, der einen Judentransport begleitet hat, die mehr oder weniger im Schneesturm ausgeladen wurden, auf freiem Acker.
    Bauer, 1923
    Einen Gefangenentransport habe ich mal beobachtet, in Rußland, wo die Wache mit zwei Meter langen Knüppels zwischengehauen hat. Als Landser hab’ ich das gesehen.
    Aber was die Amerikaner heutzutage machen, ist ja weitaus schlimmer.
    Buchhändler
    Nein. Allerdings habe ich gesehen, wie russische Kriegsgefangene von ihren eigenen Leuten, von Kosaken, mit langen Nagaikas geschlagen wurden, und das geschah ja immerhin mit deutschem Einverständnis.
    Man hat das kurz wahrgenommen und hat es gleich wieder vergessen. Nicht verdrängt, sondern vergessen, regelrecht. Man hatte ja andere Gegner damals, im Osten, schlecht zu essen und so weiter…
    Ein Mann, 1921
    Ich kam aus Rußland, und da lagen wir in Oranienburg, das war vielleicht eine Panne– da haben wir mal einen Zug gesehen. Aber genau gewußt, was da los war, haben wir nicht.
    Prokurist, 1916
    Nur eine Sache, ich hab’ das aufgeschrieben. Als ich von Reval 1943 auf Urlaub fuhr, kam ich durch Riga, da hatte ich Aufenthalt, und ich dachte: Nutze die Zeit, und da ging ich zur Durchlausung, und da empfingen mich zwei hübsche Jüdinnen, die da die Entlausungen machten, und mit denen konnte ich mich unterhalten, weil ich ganz allein war, und da hab’ ich alles gehört. Die haben mir alles

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