Habitat C (German Edition)
erklärte. Wie immer bei solchen Empfängen war dies der Auslöser für eine nachlassende Bindungskraft von Etikette und Zurückhaltung und für Carol Myas eine gute Gelegenheit, sich in ein kleines Nebenzimmer zurückzuziehen, welches für exakt solche Anlässe eingerichtet worden war. Es war karg möbliert, da es nur als kurzzeitige Rückzugstätte konzipiert war: ein leerer Tisch mit einem Terminal für die Kommunikation über eine gesicherte Verbindung, ein Sessel, schalldichte Wände und eine sicher verschlossene Tür. Als diese in den Rahmen glitt, setzte sich die Präsidentin, schloss die Augen und begann, ein Selbstgespräch zu führen, das gar keines war. Ein Beobachter hätte sie für etwas verrückt gehalten, denn obgleich es nicht notwendig war, hatte die Präsidentin, wenn sie sich ungestört fühlte, die Angewohnheit, ihre Worte mit Mundbewegungen zu untermalen. Grant konnte diese nur sehen, wenn sie in den Spiegel sah, aber es half ihr wohl, sich zu konzentrieren.
»Was ist los, Grant? Wenn sich alle den Magen vollgeschlagen haben, muss ich eine Rede halten. Du weißt, dass die Sache wichtig ist. Der Botschafter von Tanur Prime zickt rum, ich muss ihn in Reihe bringen.«
»Ich weiß. Es wird nicht lange dauern. Diese Sache auf Habitat C …«
Carol stieß ein Seufzen aus. »Ich dachte, du hast das im Griff. Du hast es versprochen. Ich habe mich darauf verlassen, Grant.«
»Das dachte ich auch. Felt ist tot.«
Myas runzelte unwillkürlich die Stirn. »Felt war …«
»Der Beamte im Diplomatischen Corps, der das Geld hinterzogen hat.«
»Ah. Er wurde ermordet?«
»Möglicherweise kann man den Vorgang so bezeichnen. Er hat sich in Gelee aufgelöst. Er war ein Klon.«
»Ah«, machte Myas ein zweites Mal. Grant spürte ihre Verwirrung. Er konnte sie ihr nicht verübeln. Doch es war sein Job, eine sichere Hand zu beweisen und ihr aus der Verwirrung herauszuhelfen.
Und das hieß, dass er lügen musste.
Obgleich er in Carol Myas’ Kopf saß, hatte er über die Jahre gut gelernt, wie er sie anzulügen vermochte, ohne dass sie Verdacht schöpfte. Es war ja nicht so, dass sie seine Gedanken lesen konnte, von jenen abgesehen, die er ihr schickte. Sie war der Ansicht, das wäre umgekehrt genauso.
Grant hielt es für hilfreich, sie auch weiterhin nicht über ihren Irrtum aufzuklären.
»Was machen wir jetzt?«
»Wir wollten die Untersuchungen selbst in die Hand nehmen. Dieser … Daxxel ist etwas zu spontan und leicht durch äußere Umstände beeinflussbar, die seine Neugierde wecken, auch wenn er besser die Finger davonlassen sollte. Ich hätte gerne, dass einer aus der Abteilung III sich um die Sache kümmert. Wenn Felt ein illegaler Klon war, ist das mehr als nur eine Sache hinterzogener Geldmittel und ein wenig politischer Protektion von wem auch immer. Da kommen wir in Bereiche, die Persönlichkeitsreduktion und Mentalklammern als Strafe vorsehen. Das ist zu groß für eine rein interne Ermittlung. Wir brauchen jemanden mit einer höheren Gehaltsklasse als diesen Bürokraten und seine Marinemieze.«
Myas runzelte die Stirn. »Ich verstehe das nicht, Grant. Sie hatten die Sache von Anfang an im Blick. Wie kommt es, dass Sie erkannt haben, dass das Problem größer ist, als wir angenommen haben – schon vorher? Was hat Sie aufmerksam gemacht? Warum haben Sie sich selbst so intensiv damit befasst? Unterschlagungen und Korruption gibt es immer wieder und überall. Was macht diesen Fall so besonders?«
Grant musste zugeben, dass die Präsidentin zwar nicht in der Lage sein mochte, seine Gedanken zu lesen, aber nichtsdestominder eine hochintelligente und zutiefst misstrauische Frau war, die nicht von ungefähr die politische Führerin der Akte geworden war. Er musste genau aufpassen, wie er mit ihr redete.
Das machte ihm außerordentlich Spaß. Es war wenig befriedigend, jemanden zu manipulieren, der einfältig war – etwa wie diesen Daxxel, der niemals über die subalterne Position hinauswachsen würde, die er derzeit innehatte, egal welche Illusionen von Grandeur er aufgrund seiner Position als Sonderermittler auch hegen mochte. Myas war eine Klasse für sich. Sie war eine beständige Herausforderung. Grant fand das gut. Und er stellte sich der Aufgabe mit Hingabe.
»Ich habe die möglichen politischen Verwicklungen im Auge gehabt«, erwiderte er, was sowohl wahr wie auch gelogen war. Grant war ein Anhänger der Theorie, dass die beste Lüge immer auch etwas Wahrheit enthielt, was ihr nicht
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