Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hades

Hades

Titel: Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
Vom Netzwerk:
einen fahrigen Eindruck, wie ein kleines Kind, das noch nicht genau wusste, wie das Ganze funktionierte. Es raste über das Brett und buchstabierte T-A-Y. Dann stoppte es, als ob es unsicher war, was als Nächstes zu tun war.
    «Du kannst uns vertrauen», drängte Abby.
    Das Glas wanderte wieder zur Brettmitte zurück und buchstabierte langsam die letzten drei Buchstaben L-A-H.
    Es war Molly, die schließlich die unbehagliche Stille durchbrach. «Taylah?», flüsterte sie mit erstickter Stimme. Dann zwinkerte sie wütend die Tränen weg und ließ den Blick durch den Kreis wandern.
    «Das ist nicht witzig!», zischte sie. «Wer war das? Habt ihr sie nicht mehr alle?»
    Ihre Anschuldigung wurde mit Kopfschütteln und Protest beantwortet. «Ich war das nicht», sagte eine nach der anderen. «Ich habe nichts gemacht.»
    Ich spürte, wie es mir kalt den Rücken herunterlief. Tief in mir wusste ich, dass keins der Mädchen so tief sinken würde, ihre tote Mitschülerin ins Spiel zu bringen. Taylahs Tod war noch viel zu frisch, niemand wagte es, darüber Witze zu machen. Und das konnte nur eins bedeuten – Abby hatte eine Verbindung hergestellt, die Grenze überschritten. Wir befanden uns auf gefährlichem Terrain.
    «Und wenn es kein Scherz ist?», wagte sich Savannah hervor. «So krank ist doch keine von uns. Was, wenn es wirklich Taylah ist?»
    «Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden», sagte Abby. «Wir müssen sie herbeirufen und nach einem Zeichen fragen.»
    «Aber sie hat uns gebeten aufzuhören», protestierte Molly. «Vielleicht will sie gar nicht gerufen werden?»
    «Ja, was, wenn sie versucht, uns zu warnen?» Hallie fröstelte.
    «Mann, seid ihr naiv.» Madison rollte die Augen. «Los, Abby, mach weiter, ruf sie her. Es wird nichts passieren.»
    Abby beugte sich tiefer über das Ouija-Brett. «Wir rufen dich», sagte sie mit tiefer Stimme. «Komme heraus und zeige dich.»
    Durch das Fenster sah ich, dass eine dunkle Wolke über den Himmel zog, den Mond verdunkelte und das staubige Silberlicht, das den Raum erfüllt hatte, vollständig ausblendete. Für einen Moment spürte ich Taylahs Gegenwart, sie strahlte Wärme ab, wie die Hand, die ich hielt. Aber sie verschwand sofort wieder und hinterließ nichts als Kälte.
    «Wir rufen dich», wiederholte Abby mit mehr Dringlichkeit. «Komm heraus.»
    Der Wind heulte auf und ließ die Fensterläden klappern. Auf einmal wurde es schrecklich kalt im Zimmer. Molly umklammerte meine Finger so fest, dass sie mir fast das Blut abschnitt.
    «Komm hervor», befahl Abby. «Zeige dich!»
    In diesem Moment flog das Fenster auf, und ein heftiger Windstoß durchzog das Zimmer. Mit einem Schlag waren alle Kerzen gelöscht. Einige Mädchen kreischten auf und fassten sich fester an der Hand. Der Wind strich mir über den Nacken wie die Finger eines Toten. Ich schauderte und rutschte weiter nach vorn, versuchte, mich davor zu schützen. Savannah winselte – ich wusste, sie spürte das Gleiche. Auch wenn die Mädchen noch so unsensibel waren, fühlten jetzt doch alle, dass sich irgendetwas im Raum befand – und dass es nicht freundlich war.
    Ich musste die Sache beenden, bevor es zu spät war.
    «Wir müssen damit aufhören!», rief ich. «Das ist kein Spiel mehr.»
    «Du kannst jetzt nicht abbrechen, Beth. Das macht alles kaputt.» Abbys Blick wanderte durch den Raum. «Ist da jemand?», fragte sie. «Gib uns ein Zeichen, dass du mich hören kannst.»
    Ich hörte Hallie nach Luft ringen und blickte zum Glas. Es wanderte langsam über das Brett und stoppte auf dem Wort Ja . Savannahs Hand war mittlerweile ganz glitschig, so sehr schwitzte sie.
    «Wer tut das?», flüsterte Molly.
    «Warum bist du gekommen?», fragte Abby. «Hast du eine Nachricht für uns?»
    Das Glas rutschte einmal rund über das Brett und endete auf dem gleichen Wort. Ja .
    «Für wen?», fragte Abby. «Sag uns, zu wem du gekommen bist.»
    Das Glas wanderte zum A. Dann rutschte es elegant von Buchstabe zu Buchstabe und buchstabierte einen Namen. Abby sah uns verwirrt an. «Annabel Lee?», fragte sie irritiert. «So heißt keine von uns.»
    Es war, als würde eine eiskalte Hand nach meinem Herzen greifen. Für die anderen mochte der Name nichts bedeuten, aber für mich sehr wohl. Ich sah ihn genau vor mir, wie er vor der Klasse stand und mit samtiger Stimme das Gedicht vorlas:
Es ist lange her, da lebte am Meer –
Ich sag euch nicht, wo und wie –
Ein Mägdelein zart, von seltener Art,
Mit Namen Annabel

Weitere Kostenlose Bücher