Hände weg oder wir heiraten: Roman (German Edition)
Ohr bis zum anderen.
»Er ist schon da«, hauchte sie.
»Wer?«, fragte ich töricht, während meine Blicke zwischen ihr und dem ungebetenen Besucher hin- und herwanderten. Er war in der offenen Haustür stehen geblieben und machte nicht den Eindruck, sofort wieder verschwinden zu wollen.
Anstelle einer Antwort grinste Annabel nur verschämt. »Ich mache mich rasch frisch. Bitte wartet, bis ich wieder da bin.« Sie ging rückwärts in Richtung Treppe und dann langsam nach oben, ohne Sven Bruckner aus den Augen zu lassen. Nach ein paar Stufen blieb sie kurz stehen. »Biete unserem Besucher doch eine Tasse Kaffee an! Sei so lieb, ja?«
Ihr Blick hatte etwas eigenartig Beschwörendes. Befremdet sah ich zu, wie sie die restlichen Stufen hinaufhuschte und im Obergeschoss verschwand.
Anscheinend kannte Annabel den Typ. Hatte sie ihn bestellt? Oder war er auf Paulines Veranlassung hin gekommen? Falls dem so war, hatten sie beide vergessen, mir davon zu erzählen. Aber da ich gestern den ganzen Tag über andere Sorgen gehabt hatte, war das nicht allzu verwunderlich.
Wie auch immer, Annabel schien höchsten Wert darauf zu legen, dass ich ihn beschäftigte, bis sie wieder da war. Es schien ihr sehr wichtig zu sein, später noch mit ihm zu sprechen, worüber auch immer.
»Das muss aufhören.« Mit einer entschiedenen Geste deutete ich auf die Möbelpacker, die sich gerade abmühten, unser Sofa in den Laster zu wuchten.
»Das Aufladen?«, vergewisserte sich Sven Bruckner.
Ich nickte und bereute es sofort. Die unbedachte Bewegung brachte in meinem Gehirn bestimmte Relais zum Klicken, die offenbar direkt an mein Schmerzzentrum angeschlossen waren.
»Dafür bin ich nicht verantwortlich«, sagte Sven.
»Wie bitte?« Ich wagte es, die Augen ein Stück weiter zu öffnen. Im Hausflur war es schattig genug, um einen genaueren Blick riskieren zu können. »Sie … Sie haben doch die Möbelpacker mitgebracht, oder nicht?«
»Nun, ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter. »Es war … ähm, es war der Bräutigam.«
Ich folgte seinen Blicken, sah aber außer den Möbelpackern niemanden. Vage erinnerte ich mich daran, dass die Stimme, die vorhin die Kommandos zum Aufladen erteilt hatte, nicht die von Sven gewesen war, sondern sich eher nach Klaus angehört hatte. Der hatte offenbar das Weite gesucht, als ich aufgetaucht war. Verständnislos blinzelnd wandte ich mich wieder zu Sven um. »Und was wollen Sie dann hier? Ich meine, wer sind Sie eigentlich?«
»Ich bin … Na ja, ich bin der Rechtsanwalt, wissen Sie.«
Er war der Rechtsanwalt und nicht der Bräutigam. In meinem Hirn klapperten die Synapsen, aber so sehr ich auch versuchte, sie zum Denken anzuspornen – es passte hinten und vorne nichts zusammen. Das Einzige, was mir in den Sinn kam, war ein Satz. Er lautete: Es war die Nachtigall und nicht die Lerche.
»Romeo und Julia«, murmelte ich.
»Wie bitte?«
Meine Güte, dieser Hang-over hatte es wahrlich in sich!
»Schon gut. Kommen Sie, wir gehen in die Küche. Die ist nämlich als Einziges noch da, weil sie fest eingebaut ist.« Ich hielt inne, weil ich merkte, welchen Blödsinn ich von mir gab. »Ach, zum Teufel. Setzen Sie sich da rein und warten Sie einen Augenblick.« Ich zeigte auf die Küchentür und ließ ihm den Vortritt. »Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Dann reden wir. Geschäftlich oder privat, ganz wie Sie wollen.«
Vermutlich hörte sich mein Gerede ziemlich skurril an. Sven Bruckners Miene blieb unverändert verbindlich, aber der höfliche Ausdruck seines Gesichts wurde von einem Hauch Skepsis getrübt. Mir war klar, dass er mich für hochgradig bescheuert halten musste. Ich konnte es ihm nicht verdenken. So wie ich an diesem Morgen (Mittag?) daherkam, benahm sich einfach kein normaler Mensch. Himmel, was für ein Durcheinander!
Ich wartete, bis er die Küche betreten hatte, dann knallte ich die Tür hinter ihm zu, rannte ins Wohnzimmer und streifte mir hastig Jeans und Bluse über. Noch während ich den Reißverschluss der Hose zuzerrte, raste ich weiter nach draußen und umrundete den Möbelwagen. Ich scheute auch nicht davor zurück, trotz der grellen Sonne die Augen weit aufzureißen, damit mir auch ja nichts entging. Doch von Klaus war weit und breit keine Spur mehr zu sehen. Er musste sich beim ersten Anzeichen von Aufruhr verdrückt haben, der Feigling. Entweder, weil er Angst vor Pauline hatte, oder weil plötzlich Annabels Anwalt hier
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