Hände weg oder wir heiraten: Roman (German Edition)
endlich aufgehört, an Märchen zu glauben. In jeder Beziehung.
Trotzdem liefen mir immer noch die Tränen, als ich aus dem Wagen stieg und zum Seiteneingang des Gebäudes ging. Aus den Augenwinkeln spähte ich im Vorbeihuschen durch die große Schaufensterscheibe in den Laden, konnte aber auf die Schnelle nicht erkennen, ob Klaus hinter der Theke stand. Tränen trübten mir den Blick, ich sah nur verwaschene blau-weiß gestreifte Gestalten, alle im einheitlichen Wagenbrecht-Look.
Die Metzgerei Wagenbrecht war wirklich ein Laden erster Güte und Klaus hatte sich mit der Eröffnung einen Lebenstraum erfüllt. Alles war genauso geworden, wie er es sich vorgestellt hatte. Wie oft hatten wir in den letzten Jahren zu viert (in den Phasen, während ich mit Thomas zusammen gewesen war, auch zu fünft) zusammen gesessen und davon gesponnen, wie toll dieser Laden werden würde! Und wie wir die Wohnungen und die Büros aufteilen wollten!
Klaus hatte wie verrückt im väterlichen Betrieb im Nachbarort geschuftet, um die finanziellen Möglichkeiten für diesen Neustart zu schaffen, und es war ihm tatsächlich gelungen. Sogar viel früher, als alle gedacht hatten.
Na gut, der letzte Kick war gewesen, dass er eine nette Stange Geld von einer Großtante geerbt hatte, nämlich genau die Summe, die das Haus hier gekostet hatte. Aber darauf war es nicht angekommen. Entscheidend war, dass er seine Vision wahr gemacht hatte. Gemeinsam mit Annabel, die ihm über Jahre hinweg den Rücken abwechselnd gestärkt und frei gehalten hatte, je nachdem, was gerade bei ihm anstand.
Als ich die Tür aufschließen wollte, konnte ich das Schlüsselloch nicht finden, weil ich derartig flennte, dass ich nur noch Wasser sah.
»Warte, ich helfe dir«, sagte Klaus’ Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum. Er war in Arbeitskleidung. Weißes Hemd, blau-weiß gestreifte Metzgerschürze. Davon abgesehen sah er anders aus als sonst. Seine übliche gesund-rosige Gesichtsfarbe war zu einem kreidigen Grau verblichen und unter seinen Augen lagen fingerbreite dunkle Ringe. Kein Wunder, dachte ich gehässig. Wer mit gewissen Leuten rumsumpft, sieht halt aus wie der wandelnde Tod.
Stumm trat ich zur Seite und ließ zu, dass er mir die Haustür aufschloss. Ich hatte nicht vor, mich auf irgendwelche Diskussionen mit ihm einzulassen. Genau genommen wollte ich kein einziges Wort mit ihm reden.
Doch das stellte sich in der Folgezeit als schwierig heraus.
»Das von heute Mittag tut mir Leid«, sagte er. »Ich hätte das nicht tun sollen. Außerdem dachte ich, ihr wärt gar nicht da.«
Ich sagte keinen Ton. Klaus druckste herum und fuhr mühsam fort: »Es war eine Kurzschlussreaktion. Ich war verzweifelt und konnte nicht richtig denken. Ich glaubte, wenn erst all ihre Möbel hier sind, muss sie ja kommen. Dann hätten wir reden können.«
Ich drückte mich an ihm vorbei und ging zur Treppe. Doch Klaus ließ sich nicht so leicht abhängen. Er folgte mir nach oben in den ersten Stock und wartete, bis ich meine Bürotür aufgeschlossen hatte.
Das Schild mit der Aufschrift Brittas Brautbüro erschien mir an diesem Nachmittag wie der blanke Hohn. Genau wie die liebevoll mit Brautbildern und diversen Hochzeitsdekorationen aufgemöbelte Einrichtung. Der Laden bestand nur aus einem mittelgroßen Büroraum, einer kleinen Kaffeeküche und einem winzigen Bad. Aber er war mein ganzer Stolz gewesen und jetzt war er bloß noch Müll.
Ich ging um meinen hübschen, mit frischen Blumen geschmückten Schreibtisch herum und ließ mich schluchzend auf den Drehstuhl fallen. Es war mir völlig egal, dass Klaus mir in den Raum gefolgt war.
»Es tut mir so wahnsinnig Leid«, sagte er verzweifelt. Wenn irgend möglich, war er noch blasser als zuvor. »Ich habe alles kaputtgemacht, oder?«
Er schluckte und zerknüllte seine Schürze zwischen seinen breiten Metzgerhänden, und unwillkürlich erinnerte ich mich daran, wie Annabel und ich mit ihm zusammen die Prüfungsfragen für die Fachverkäufer im Fleischerhandwerk gepaukt hatten. Als Metzgermeister musste er natürlich auch Azubis beschäftigen und ihnen das A und O von Wurst & Co. beibringen. Wie hatten wir das alles mit ihm einstudiert! Tausend Dinge, die ein guter Metzger wissen musste. Zum Beispiel die existenzielle Frage, wie es zum Verblassen von Fleischwaren kommt: Durch Licht und unter Einfluss der Lagertemperatur wird aus Nitrosomyoglobin durch Umbau der Fe-Komponente Metmyoglobin.
Oder die eher praktische Frage, welche
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