Hände weg oder wir heiraten: Roman (German Edition)
sofort jedem Menschen ein: Zwischen seinen oberen Schneidezähnen klaffte eine Lücke, die fast so breit war wie ein Eisenbahntunnel.
»Man hört viel, wenn der Tag lang ist«, erwiderte ich betont lässig. Es fehlte noch, dass ich mir vor diesem verschlagenen Schlitzohr die Blöße gab, beunruhigt zu wirken. »Ähm … Wo genau haben Sie das denn gehört?«
Er zuckte die Achseln und schob den Schraubenzieher tiefer in den Mund. »Kann übrigens sein, dass bald noch jemand hier einzieht«, sagte er schmatzend und zischend um den Schraubenzieher herum. »Jemand, den Sie kennen.«
Ich hatte keine Lust mehr, ihm zuzuhören. Wenn er meinte, einen auf Pseudo-Orakel machen zu müssen – bitte sehr. Dann aber ohne mich.
Ich hob den Kopf und lauschte. Vom Haus her waren unverkennbar hämmernde Geräusche zu hören. Irgendetwas stimmte da nicht.
Mit einem gemurmelten Gruß ließ ich Hermann stehen und ging ins Haus. Als ich aufschloss, schlug meine Unruhe in Panik um, die sich beim Betreten der Halle zum absoluten Schock auswuchs. Wenn ich es richtig sah, war eine Horde Handwerker gerade dabei, das Wohnzimmer auseinander zu nehmen. Ein halbes Dutzend von ihnen war damit beschäftigt, die Wandpaneele abzumontieren und die Rollladenkästen aufzuschrauben. Einer hockte auf dem Fußboden und hieb mit gewaltigen Hammerschlägen die Fußleisten von der Wand, zwei andere hängten die Flügeltüren aus, die zum Esszimmer führten.
»Was ist denn hier los?«, brüllte ich. Niemand nahm von mir Notiz. Ich ging nach oben in den ersten Stock, wo ich endlich auf einen Menschen traf, den ich kannte und der mir sicher unverzüglich erklären würde, was hier im Gange war.
Annabel trug Kopfhörer und lauschte mit verklärter Miene und geschlossenen Augen ihrer Yoga-Musik. Sie hockte im Schneidersitz auf ihrer Matratze, die auf wundersame Weise wieder den Weg in ihr Bett gefunden hatte, das heute Morgen noch abgeschlagen unten in der Diele gestanden hatte, jetzt aber wieder komplett zusammengebaut in ihrem Zimmer war. Ich warf einen schnellen Blick hinüber in mein eigenes Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs. Nach allem, was ich auf die Schnelle beurteilen konnte, sah es ganz danach aus, als wären auch meine Möbel alle wieder an den angestammten Plätzen. Fast kam es mir so vor, als hätten wir nie umziehen wollen. Das Einzige, was nicht so ganz dazu passen wollte, war die Tatsache, dass ein paar Männer im Erdgeschoss damit beschäftigt waren, das Haus abzureißen.
»Was zum Teufel läuft hier eigentlich?«, rief ich.
Annabel hörte mich nicht. Ich trat zu ihr, nahm ihr die Kopfhörer ab und wiederholte meine Frage.
»Sven ist eingezogen«, sagte sie bereitwillig, als wäre das die einzig passende Erklärung.
»Was heißt das, er ist einzogen? Wir sind doch noch gar nicht ausgezogen!«
»Im Normalfall wären wir aber schon ausgezogen. Dann wäre das Haus für ihn frei gewesen. So war es ausgemacht. Wir raus, er rein.«
Das ließ ich nicht gelten. Es gab schließlich so etwas wie höhere Gewalt!
Wütend stemmte ich die Hände in die Hüften. »Ein paar Tage hätte uns dieser Geier von Anwalt doch noch lassen können, oder nicht?«
»Aber das geht nicht. Es ist alles genau abgestimmt. Sven will bald die Kanzlei eröffnen. Er hat schon Anzeigen geschaltet und Leute zur Eröffnungsparty eingeladen.«
»Wieso Kanzlei? Eben noch hast du gesagt, er ist hier eingezogen. Was denn nun?«
»Beides«, sagte Annabel mit leuchtenden Augen. »Er wohnt natürlich auch hier.«
»Natürlich«, wiederholte ich konsterniert.
Annabel nickte. »Er hat gesagt, für ihn wäre das alles überhaupt kein Problem. Das Haus ist groß genug für uns alle. Er braucht nur das Wohnzimmer und das Esszimmer und die Gästetoilette. Und die Besenkammer als Kopierraum. Und einen Kellerraum für die Akten. Und eventuell noch ein Stück von der Diele, als Wartebereich für die Mandanten.«
»Mandanten«, echote ich dümmlich.
Annabel lächelte vergnügt. »Die Küche wäre dann ein Gemeinschaftsraum, so wie bisher. Ich meine, das ist doch wunderbar, oder? Wir haben das Wohnzimmer und das Esszimmer sowieso kaum benutzt. Sven hätte also ein superschönes großes Büro und ein Vorzimmer für die Sekretärin. Und hier oben wäre es dann rein privat, es hätte jeder von uns sein Zimmer, wie gehabt.«
»Wie gehabt«, wiederholte ich. Es klang wie ein kaputtes Grammofon.
Annabel nahm gar nicht zur Kenntnis, dass meine Gesprächsbeiträge sich
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