Hände weg von Zeitmaschinen
Solch ein Wissenschaftler war auch Jesse Migg, Physiologe und Spektralphysiker, dem es als erstem gelang, das Monstrum in die Falle zu locken – und dabei dachte, er habe einen Engel vor sich. Old Jess, wie man ihn nannte, war ein sehr fähiger Kopf. Zuerst einmal war er aber gar nicht alt, noch nicht einmal vierzig. Seine Gestalt erinnerte an ein geschärftes Messer. Er war ein rotäugiger, hochgeschossener, spitznäsiger und hochintelligenter Albino. Er bevorzugte die Kleidung und die Laster des zwanzigsten Jahrhunderts, Tabak und das übermäßige Trinken von C 2 H 5 OH. Er redete nicht, sondern spie, ging nicht, sondern hastete einher. So jagte er auch gerade durch die Laborgänge von Tech I (Einführung in die räumliche Mechanik – Pflichtschein für alle Studenten der allgemeinen Künste), als er das Monstrum aufstöberte.
Eines der ersten Experimente des Kurses war die EMF-Elektrolyse. Eine elementare Voraussetzung. Eine U-förmige, mit Wasser gefüllte Röhre wurde zwischen den Polen eines Remosant-Magneten befestigt. Nachdem eine entsprechende Spannung angelegt worden war, bildeten sich an den Enden der Röhre Wasserstoff und Sauerstoff im Verhältnis zwei zu eins, mengenmäßig abhängig von der Spannung und der Stärke des Magnetfeldes.
Oddy führte sein Experiment konzentriert durch, erreichte das erwartete Ergebnis, trug es in sein Kursheft ein und wartete dann auf den kleinen Migg, der es überprüfen mußte. Migg kam den Gang entlang gehetzt, stürzte sich auf Oddy und spuckte: »Fertig?«
»Ja, Sir.«
Migg überprüfte die Hefteintragungen, warf den Indikatoren an den Enden der Röhre einen flüchtigen Blick zu und kritzelte mit einem spöttischen Schnauben etwas hinter Oddys Namen. Erst nachdem Oddy gegangen war, entdeckte er, daß der Remosant-Magnet offensichtlich kurzgeschlossen war. Die Drähte waren durchgeschmort. Sie hatten gar kein Feld zur Elektrolyse des Wassers erzeugen können. »Hölle und Verdammnis!« grunzte Migg (er bevorzugte auch die Ausdrucksweise des zwanzigsten Jahrhunderts) und drehte sich eine krumme Zigarette.
In seinem computerhaften Hirn jagten sich die Möglichkeiten. 1. Gaul hatte geschummelt. 2. Wenn dies zutraf, wie hatte er dann das H 2 und O 2 getrennt? 3. Wie hatte er die reinen Gase erhalten? 4. Warum sollte er betrügen? Auf die ehrliche Art und Weise war es sicher am einfachsten. 5. Er hatte nicht betrogen. 6. Wieso hatte er dann die richtigen Ergebnisse herausbekommen können? 7. Wieso war überhaupt eine Reaktion erfolgt?
Old Jess leerte die Röhre, füllte sie mit frischem Wasser und versuchte das Experiment selbst. Er bekam ebenfalls das korrekte Ergebnis ohne einen Magneten heraus.
»Hölle und Verdammnis!« fluchte er abermals, von dem Wunder gänzlich unbeeindruckt, aber erzürnt wegen des Geheimnisses. Er schnaubte und schlug wie eine hungrige Fledermaus mit den Armen herum. Nach vier Stunden entdeckte er, daß die stählernen Tische etwas Strom von den Greeson-Spulen im Keller ableiteten und dadurch gerade so viel Spannung erzeugt wurde, wie zum Gelingen des Experiments notwendig war.
»Ein dummer Zufall«, spuckte Migg. Aber überzeugt davon war er nicht.
Zwei Wochen später, bei der Einführung in die Spaltungsanalyse, beendete Oddy die Arbeit eines langen Nachmittags, indem er die erhaltenen Isotope von Selenium bis Lanthanum sorgfältig auflistete. Das eigentliche Problem, so fand Migg heraus, lag nur darin, daß man Oddy irrtümlich statt U 235 zum Neutronenbombardement eine Probe ausgehändigt hatte, die bei einer Stefan-Boltsmann-Demonstration zurückgeblieben war.
»Gott im Himmel!« fluchte Migg und überprüfte den Versuch. Er prüfte ein zweites, dann ein drittes Mal nach. Als er die Erklärung fand – ein bemerkenswerter Zufall: der Versuchsapparat war nicht richtig gesäubert worden, und außerdem war eine der Kammern defekt –, fluchte er noch schlimmer. Aber er dachte auch intensiv nach. »Dieser Junge zieht Zufälle magisch an«, schnaubte er, als er vor dem Spiegel stand und Selbstanalyse betrieb. »Wie andere das Pech an den Fersen kleben haben.«
Aber er war eine Bulldogge, die ihre Zähne in den einzelnen Phänomenen verbiß. Er testete Oddy Gaul. Er sah ihm im Laboratorium über die Schulter und verschluckte sich bald vor wachsender Begeisterung, als Oddy ein Experiment nach dem anderen mit defektem Gerät durchführte. Und als Oddy das klassische Rutherford-Experiment erfolgreich beendete – die Gewinnung von 8 O 17
Weitere Kostenlose Bücher