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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Außerdem zitterte Trotzek leicht. Keine Frage, er war mit den Nerven am Ende.
    »Ich … ich hab nachgedacht … hier drinnen hat man ja so viel Zeit dafür, und, na ja, ich weiß nicht, vielleicht haben Sie ja recht … vielleicht brauche ich doch Ihre Hilfe.«
    Wo war nur die tiefe, kräftige Stimme geblieben? Heute klang Trotzek eher wie ein Schuljunge. Sebastian, der sich wieder auf ein äußerst anstrengendes Gespräch eingestellt hatte, war überrascht.
    »Die brauchen Sie bestimmt«, begann Sebastian. »Aber ich kann Ihnen nur helfen, wenn Sie ehrlich und offen sind. Was wir vor Gericht sagen, entscheiden wir später, aber ich muss hier und heute wissen, ob Sie mir gegenüber die Wahrheit sagen werden.«
    Schweigen.
    »Sonst übernehme ich Ihre Verteidigung nicht.«
    Trotzek sah ihn fest an, schien in Sebastians Augen nach etwas zu suchen, das es ihm leichter machen würde. Scheinbar fand er es, denn schließlich nickte er und sagte: »Was wollen Sie wissen?«
    »Alles. Aber zunächst einmal interessiert mich, warum Sie Ihren Vater getötet haben. Was ist zwischen Ihnen vorgefallen, das Sie zu dieser Tat getrieben hat?«
    »Ich bin kein Mörder«, sagte Trotzek, »vielleicht können Sie das dem Richter ja erklären! Dafür sind Sie doch da, oder?«
    Sebastian erkannte, dass die Worte, die er vor einer Woche zu Trotzek gesagt hatte, nicht fruchtlos verhallt waren. Er hatte offenbar wirklich darüber nachgedacht. »Ja, dafür bin ich da«, sagte er und wartete ab.
    »Er hat es verdient«, fuhr Trotzek schließlich fort.
    »Womit hat er es verdient?«

    Trotzek starrte jetzt wieder die Tischplatte an und schüttelte langsam den Kopf. »Haben Sie jemals die Hand erhoben gegen jemanden aus Ihrer Familie?«
    »Um mich geht es hier nicht, Herr Trotzek. Ich werde Ihnen sicher keine persönlichen Fragen be…«
    »Es war nicht leicht, glauben Sie mir! Aber es musste sein!«
    Sebastien ließ zwei Atemzüge verstreichen. »Warum?«
    Langsam hob Trotzek den Kopf. Seine Augen schimmerten feucht. »Er brach meiner Mutter das Herz, er hat sie umgebracht … und dafür hat er es verdient.«
    Und dann begann er zu erzählen. Die ganze Geschichte. Mal stockend, mal fließend, aber ohne größere Pausen. Und er hörte nicht auf, ehe er sich nicht alles von der Seele geredet hatte.

Dienstag
    Ein ungewöhnlich glutroter Streifen lag wie mit dem Lineal gezogen über der Stadt, seine intensive Farbe ließ die Dächer der Häuser erglühen, als stünden sie in Flammen. Trotz der drückenden Schwüle des Tages hatte sich kein Gewitter eingestellt. Jetzt am Abend lag die Temperatur noch immer über zwanzig Grad, aber die Luft war besser, leichter, nicht mehr so feucht. Das Wetter hatte sozusagen Entwarnung gegeben. Allerdings nur vorerst, denn diese Färbung am Himmel glich einem Versprechen auf die geballte Kraft der Natur zu einem späteren Zeitpunkt. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
    Sebastian betrachtete durch die Windschutzscheibe seines Leihwagens das Schauspiel am Himmel. Natürlich war er zu früh zu dem Abendessen mit Saskia Eschenbach gekommen, wie sollte es auch anders sein. Sein Inneres stand dem dramatischen Spektakel dort oben in nichts nach; sein Bauch kribbelte, seine Finger waren in ständiger Bewegung, und irgendwo in seinen Eingeweiden schien es neuerdings eine fremde Lebensform zu geben. Gestern, nach dem Gespräch mit Trotzek, hatte sie ihn angerufen, und bestimmt hatte er sich am Telefon wie ein Trottel benommen, da sein Kopf angefüllt gewesen war mit Trotzeks Geschichte.
    Sein Blick ging zur Uhr auf dem Armaturenbrett. Noch so viel Zeit! Auf der anderen Straßenseite erwachte flackernd die grüne Leuchtreklame des italienischen Restaurants.
Obwohl kein Geräusch ins Innere des Wagens drang, meinte er doch, mediterrane Musik zu vernehmen. Saskia hatte das Lokal vorgeschlagen. Er selbst kannte es nicht, hatte aber von dem ausgezeichneten Ruf gehört. Sein eigener Ruf war ruiniert, keine Frage, er hatte nämlich vergessen, Saskia zu fragen, ob er sie abholen durfte. Eine Unhöflichkeit, die jetzt leider nicht mehr wiedergutzumachen war.
    Die Zeiger der Uhr rückten enervierend langsam vor. Als sie eine vorher festgelegte Stelle erreichten, atmete Sebastian tief ein und verließ den Wagen. Der Geruch warmer Straßen vermischte sich mit dem Duft von Hibiskushecken, lauer Abendwind transportierte Grillgeruch herüber. Mit langen Schritten ging er auf das Lokal zu. Zehn Minuten trennten ihn jetzt noch von dem

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