Haeppchenweise
...
Vorsichtshalber öffne ich nur ein Auge. Etwas verwehrt mir die Sicht, und es handelt sich definitiv nicht um eine dralle Amsel. Ein gigantischer Strauß vereinnahmt meinen Nachttisch. Und meine Nase befindet sich Zentimeter von einem zutraulichen Lilienkelch entfernt. Es scheppert heftig.
Ich schwöre, ich wollte die Vase nicht runterschubsen, sondern bloß beiseiteschieben. Hab nur vergessen, dass mein Arm eine kolossale Gipsweißwurst ist.
„Also, so hässlich finde ich die Blumen nun auch wieder nicht!“
Eine vertraute Gestalt huscht um das Bett und verschwindet für einen Augenblick aus meinem Sichtfeld. Britta lächelt verlegen, als habe sie das Gemüse auf dem Gewissen und hastet mit den Lilien ins Bad. Wasser rauscht, die Porzellanscherben poltern in den Mülleimer. Sekunden später platziert sie das Blüten-Betäubungsmittel auf der Fensterbank – in meinem Nachttopf.
„Wie lange sitzt du schon hier?“
Meine Freundin öffnet mit zittrigen Fingern ihr Make-up-Döschen. Sie pudert ihre Schnupfennase, erhascht ihre Tränensäcke im Spiegel und klappt ihn rasch wieder zu. Ihre Schläfe pulsiert verräterisch.„Ach, eine halbe Stunde. Höchstens.“
„Hat du dir wenigstens einen Kaffee geholt, wenn du schon den ganzen Nachmittag hier rumhängst?“
Prompt füllen sich ihre Augen mit Tränen. Ich rücke beiseite und klopfe neben mich auf die Matratze. Sie kuschelt sich wortlos an mich, und obwohl ihr Rubenskörper ziemlich viel Platz benötigt, empfinde ich ihre Wärme als unendlich tröstlich. Britta atmet durch den Mund, ein leises Pfeifen entweicht ihrer Lunge.
„Geht es dir gut? Hast du Schmerzen?“
„Momentan klingst du pflegebedürftiger als ich.“
„Sehr lustig, Katta. Ich bin bloß erkältet, du dagegen siehst echt mies aus.“
„Dich hat ja auch kein Bus gerammt.“
„Darüber macht man keine Witze. Du hättest tot sein können! Wurdest du richtig durchgecheckt? Hattest du Sehstörungen vor dem Unfall oder war dir schwindelig? Haben die eine Computertomografie und einen Kernspin gemacht? Falls du Ausfallerscheinungen hattest, können die Ärzte per Früherkennung ...“
Ich verdrehe die Augen. „Wo hast du denn diesen Blödsinn gegoogelt?“
„Das steht in den Broschüren über Gehirntumore, die im Wartebereich ausliegen.“
„Ich habe definitiv keinen Gehirntumor!“
Britta sieht mich prüfend an. Ihr rechtes Lid zittert.
„Erzähltest du nicht letztens was von Augenflimmern?“
„Himmel, Britta!“
„Ich bin deine beste Freundin. Es ist mein Job, mir Sorgen um dich zu machen.“
Eine Weile liegen wir ganz still und hören einander beim Atmen zu. Schon als Kinder haben wir das getan, wenn auch nicht aus rein freundschaftlicher Zuneigung. Britta liebte Geistergeschichten, und sie konnte sie so gut erzählen, dass wir die ganze Nacht kein Auge zugetan haben.
„Britta?“
„Hm?“
„Hat die Klinik dich angerufen?“
Ihre Wimpern flattern. Sie schielt zur Fensterbank, als stecke die Antwort im Lilienstrauß in meinem Nachttopf. Mein Herz schlägt schneller.
„Felix war hier?“, flüstere ich. „Hast du ihn ... gesehen?“
„Nein, er war längst weg, als ich kam.“
Der nächste Satz fühlt sich zähflüssig an und benötigt eine Menge Mut, ehe er aus meinem Mund quillt. Das tut er dann allerdings rasch.
„Wieistsiedennso?“
„Wie ist wer?“
„Felix´ Neue!“
„Wieso fragst du mich das?“
„Du warst doch in ihrer Wohnung!“
Erneutes Achselzucken, einen Tick zu unbefangen.
„Mensch Britta! Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“
„In dem Haus leben hauptsächlich Familien und Pärchen. Die einzigen Singles waren ein ziemlich leckerer Streifenpolizist und eine Oma mit Dackel. Er heißt Floppy. Also der Hund, nicht der Polizist ...“
„BRITTA!“
„Katta, in der Münzgasse 12 wohnt niemand, der mit Felix liiert sein könnte – außer, dein Ex steht neuerdings auf muskelbepackte Gesetzeshüter.“
„Eine Sackgasse demnach?“
„Richtig. Hättest dir den Unfall also sparen können. Aber wer weiß, wozu er gut war. Ich hörte, Julia und Julius laufen im Cook & Chill zu Höchstform auf ... ob es in der Nähe einen Coffeeshop gibt?“
„Wie meinst du das?!“
„Diese Brühe aus der Cafeteria kann man wohl kaum als Kaffee bezeichnen.“
„Britta! Was passiert in meinem Laden?!“
Leider fasse ich ins Leere. Britta gleitet katzenartig aus dem Bett, flötet ein munteres: „Bin gleich wieder da!“, und lässt mich
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