Haertetest
kannte ihn. Zumindest vom Sehen. Es war der Typ, dem ich eben den Parkplatz gemopst hatte. Er sah sich suchend um, entdeckte Lilly und lächelte. Nein! DAS was Henning? Jetzt entdeckte ich auch die Ähnlichkeit zu den Fotos! Ich musste hier schnell weg, bevor er mich mit Lilly in Verbindung brachte und ich ihr das Date ruinierte.
»Ähm, dann viel Spaß, meine Liebe. Ich warte dann, äh, da hinten auf Jessica!« Schnell huschte ich geduckt, die Blicke der anderen Gäste ignorierend, in den hinteren Bereich des Cafés.
An einem freien Tisch setzte ich mich so, dass ich Lilly und Henning sowie die Tür im Blick hatte. Jessica war definitiv noch nicht hier. Dafür boten meine beste Freundin und ihre Internetbekanntschaft einen ganz entzückenden Anblick. Man glaubte sofort wieder an die Liebe, wenn man die beiden nur von Weitem sah. Und ich sah sie ja nur von Weitem und Lilly überhaupt nur von hinten.
Sie strich sich ständig verlegen die Locken aus dem Gesicht und starrte Henning ununterbrochen an. Er schien auch ehrlich erfreut, sie zu sehen. Zwar warf er gelegentlich einen Blick auf die Getränkekarte, konnte aber seinerseits kaum die blauen Augen von Lilly lassen.
Ich seufzte. Die Leute vom Nachbartisch guckten irritiert rüber. Offenbar hatte ich etwas zu laut geseufzt. Ich sah sie an und schnell wieder weg. Ganz normale Menschen in meinem Alter tranken dort Kaffee und wunderten sich über den Aufstand, den ich veranstaltete. Ich behielt immer noch die Tür im Blick, Lilly und Henning starrten sich weiter an, und ich wollte nicht, dass Henning, der bestimmt keinen guten Eindruck von mir hatte, mich sah und als »Parkplatz-Diebin« enttarnte.
Damit Jessica, sollte sie nun bald auftauchen, nicht gleich mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass statt ihres vermeintlich angehenden Geliebten dessen rachsüchtige Ehefrau auf sie wartete, nahm ich mir die Speisekarte und hielt sie recht unauffällig vor mein Gesicht. Ich rutschte tief auf meinem Holzstuhl hinunter und tat ganz lässig, so, als suche ich mir ein Getränk aus.
Der Besitzer des Lokals kam an meinen Tisch geschlurft. Er ging nie normal, er schlurfte immer. Damit demonstrierte er, dass er hier quasi wohnte. Wir saßen in seinem Wohnzimmer, er versorgte uns mit Getränken, da konnte er schlurfen und schlampig aussehen, wie er wollte. Und da es hier immer voll war, schien sich bis jetzt offensichtlich noch nie jemand daran gestört zu haben.
»Was darf ich dir denn bringen?«, fragte er freundlich.
Ich hatte vor Nervosität natürlich keinen einzigen Blick auf die Karte geworfen, die ich mir vor die Nase hielt, wusste aber, dass sie sehr guten Zimt-Macchiato hatten. Den orderte ich. Jessica konnte sich dann selber etwas bestellen oder auch nicht, das war mir relativ egal.
Wo blieb sie eigentlich? Es war fünf nach sechs. Ich starrte auf den Sekundenzeiger der großen antiken Wanduhr. Sechzig endlose Sekunden verstrichen. Als der Zeiger auf die sechs sprang, betrat sie das Café. Es war sechs nach sechs. Und sechs war die Zahl des Teufels. Und vielleicht hatte sie mit meinem Mann sechs, äh, Sex gehabt. Das würde sich jetzt vielleicht herausstellen.
Mir wurde heiß. Sie sah sich um. Ich wusste nicht, ob ich mich verstecken oder auf sie zugehen sollte. Wollte sie aber auch nicht in die Flucht schlagen. Sie sah mich, und ich winkte ihr wohlwollend zu. Dann stand ich auf und erhob mich zu meiner vollen Größe von einem Meter zweiundsiebzig.
Jessica kam zögernd auf mich zu. So unhöflich, sich auf dem Absatz umzudrehen und einfach rauszustürmen – wie ich es vermutlich getan hätte –, war sie jedenfalls nicht. Sie ging an Lilly und Henning vorbei, die sie nicht einmal wahrnahmen. Jessica blieb vor mir stehen.
»Hallo. Liebe Grüße von Jonas. Er kann heute leider nicht kommen«, fing ich unser Gespräch an und streckte Jessica die Hand entgegen. Ein Lügendetektor hätte jetzt sicher wie wild ausgeschlagen. Aber besondere Umstände erforderten besondere Maßnahmen. Und tatsächlich konnte Jonas heute nicht kommen, weil er nämlich auf Maja aufpassen musste.
Und ich konnte zumindest so tun, als wäre ich höflich zu ihr. Immerhin wollte ich ja was von ihr wissen. Wenn sich herausstellte, dass sie die Schlampe war, für die ich sie hielt, konnte ich immer noch aufspringen, Hulk-mäßig brüllen und ihr meinen Stuhl über den Schädel ziehen. Mann, hatte die sich aufgebrezelt! Ich genoss Jessicas enttäuschtes Gesicht richtig. Sie schien zu
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