Haertetest
ich nicht mal mehr weiß, wie die Regler zu bedienen sind! Sie müssen, seit ich nicht mehr hier arbeite, das Studio modernisiert haben, und keiner hat es mir gesagt!
Meine Kollegin aus den Nachrichten, Anna Busch, endet mit den Worten »So weit die Meldungen«, dann gibt sie mir ein Zeichen, mit meiner Moderation anzufangen, und es ist still. Stille ist ja im Grunde etwas Schönes in unserer hektischen Zeit – doch wo jetzt Stille herrscht, da dürfte eigentlich keine herrschen. Stattdessen hätte ich längst den Stunden-Opener starten und mit einer netten, lockeren Begrüßung den ersten Titel anmoderieren müssen.
Die unfreiwillige Sendepause dehnt sich zur Schweigeminute aus. Ich bewege mich nicht und simuliere das Kaninchen vor der Schlange. Nicht der beste Zeitpunkt für eine solche schauspielerische Einlage.
Hinter der Glasscheibe zum Nachrichtenstudio versammeln sich meine Kollegen, die sich fiese »Das hab ich ja kommen sehen, sie ist ja auch schon so lange raus«-Blicke zuwerfen und sich leise etwas zumurmeln. Niemand kommt herein, um mir zu helfen, und ich will mir nicht die Blöße geben, um Hilfe zu rufen. Wahllos schiebe ich stattdessen hektisch irgendwelche Regler hoch, in der Hoffnung, dass sich mein Gedächtnis unterbewusst erinnert, welches der richtige ist – wie im Film, wo der Held die Wahl zwischen dem blauen und dem grünen Kabel hat, um die Bombe zu entschärfen, und sich instinktiv für das richtige entscheidet.
Aber das Leben ist kein Film, und mein Unterbewusstsein hilft mir mal wieder nicht die Bohne! Nach mehreren panischen Fehlversuchen, in denen ich nacheinander den Nachrichten-Opener, ein falsches Lied und ein Werbejingle starte, finde ich endlich durch Zufall den Knopf für den Stunden-Opener.
Lächelnd will ich meinen Begrüßungstext vom Zettel ablesen – da fällt mir auf, dass ich gar nichts vorbereitet habe! Vor mir liegt kein Zettel! Und ich weiß nicht mal mehr, wie meine Sendung heißt!
Wieder Lava im Blut, Feuer in der Lunge und Asche auf meinem Haupt. Über den Sender geht ein weiteres peinliches Schweigen. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, entschließe mich also dazu, die Kaninchentaktik weiterzuverfolgen, mich demzufolge nicht zu bewegen, nicht zu atmen und nichts zu sagen. So sitze ich eine Minute starr am Mikro, unfähig, mich zu rühren, bis das Notband anspringt. Mit AC / DC s Highway to hell. Wie passend! Die Hölle scheint mir gerade eine sonnige Blumenwiese gegen dieses Martyrium. Ich nehme meine Kopfhörer ab, verlasse das Studio und höre einen Kollegen seufzen: »Schade, sie war früher echt cool.«
Als ich wieder aufwachte, waren meine Haare verschwitzt, und ich wusste nicht, wo ich war. Es war nicht so dunkel wie bei Nacht, aber das Licht war anders als sonst. Dann fiel mir ein, dass ich schon lange nicht mehr beim Radio arbeite. Nachdem ich dort aufgehört hatte, hatte ich noch eine Weile als TV -Journalistin gearbeitet, bevor ich mich ganz dem Schreiben widmete.
Richtig, jetzt fiel es mir auch wieder ein: Ich war verheiratet und lebte mit meiner Familie in Pinneberg. Und der kleine Mensch neben mir im Bett war meine Tochter. Meine Armbanduhr zeigte halb drei, ich musste vier Stunden bei Maja geschlafen haben. Leise stand ich auf und knipste ihr Nachtlicht aus. Dann schlich ich nach nebenan ins Schlafzimmer. Kurz fiel mein Blick ins künftige Babyzimmer, das im Moment als Rumpelkammer genutzt wurde. Hier würde wohl so bald kein Baby schlafen. Schade.
Jonas lag in unserem Bett und schnaufte.
Ich zog mich schnell aus und kuschelte mich seufzend in seine Schulterkuhle. Heute Abend waren wir endlich mal wieder miteinander verabredet. Dann würde ich ihm alles erzählen, was mich im Moment beschäftigte, und wir konnten schön kuscheln. Baby hin oder her. So wichtig war es ja jetzt nicht mehr, dass ich schwanger wurde. Hauptsache, ich hatte meinen Mann wieder für mich alleine. Getröstet vom Gedanken an unseren gemeinsamen Abend, schlief ich irgendwann wieder ein. Dann träumte ich, ich wäre bei H&M, und jedes Teil würde nur einen Euro kosten. Hmm, mein Lieblingstraum!
Als ich das nächste Mal aufwachte, lag ich alleine im Bett. Jonas war anscheinend schon wieder los zur Arbeit.
Mein Kopf dröhnte, ich fühlte mich, als wäre ich wie früher über den Kiez gezogen, dabei hatte ich nur drei Gläser Wein mit Lilly getrunken. Maja war noch nicht wach, vielleicht blieb mir noch Zeit für eine Tasse Kaffee, bevor ich sie wecken
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