Haertetest
Seenlandschaft verwandelt. Schlaglöcher, die bis Australien reichten, mussten umrundet werden, um zum Auto zu gelangen. Ich stellte mir vor, wie ich wohl in Anglerstiefeln aussehen würde, die bis zur Hüfte gingen. Sagen wir mal: Sie wären zumindest praktisch.
Auf einem trockenen Fleckchen vor dem Tor holte ich meine Zigaretten aus der Handtasche und reichte die Schachtel herum. Okay, die Gesamtkonferenz fing in fünfundvierzig Minuten an, aber diese kleine Konferenz hier war auch wichtig. Es ging immerhin um unsere Kinder, also die Zukunft der deutschen Gesellschaft! Die wollten wir nicht von einigen fehlgeleiteten Erzieherinnen verhunzen lassen.
Katharina, Julia und Saskia nahmen sich dankend ebenfalls eine Zigarette. Sieh mal an. Das hätte ich nicht gedacht, dass tatsächlich die Mehrheit der anwesenden Mütter rauchen wollte. Und das lag nicht am Gruppenzwang. Schließlich waren wir keine vierzehn mehr.
»Hab ich lange nicht geraucht!«, stöhnte Julia nach dem ersten Zug genüsslich. Katharina murmelte: »Komische Uhrzeit zum Rauchen, finde ich. Und so vorm Kindergarten. Hoffentlich sieht uns keiner!«
Sie schaute nach links und rechts, ob uns etwa Erzieherinnen erwischen konnten. Nein, Glück gehabt.
»Also, ich finde es echt eine Frechheit, was die Frau Fischer sich da rausnimmt. Die kann doch nicht Judith Schmidt-Günther einladen!«, schimpfte Saskia.
»Hm, kann sie natürlich schon«, hielt Katharina dagegen. »Wir müssten ja nur einfach nicht hingehen.«
»Nein, das wäre zu einfach«, meinte ich. »Dann findet die Schmidt-Günther noch andere, die sie beeinflussen kann, und dann bekommen wir hier so Erziehungsmethoden wie aus Vorkriegszeiten. Ich finde Frau Fischer schon echt hart an der Grenze, wie sie mit den Kindern umgeht. Aber man kann ja heutzutage schon froh sein, wenn man überhaupt einen Platz findet!«
Die anderen nickten und murmelten zustimmend. Durch die dichte Wolkendecke schob sich ein Sonnenstrahl. Trotzdem hatte ich keinen kreativen Lichtblitz, wie sich das Dilemma lösen ließ.
»Lasst uns doch mal brainstormen«, schlug Saskia vor. Wie sich herausstellte, war sie bis zu Jyttes Geburt leitende Mitarbeiterin der PR -Abteilung eines großen Möbelhauses gewesen. Große Freude kam auf, als wir feststellten, dass Irene und ich beide aus Niedersachsen kamen und in Hannover gleichzeitig Germanistik studiert hatten. Sie war Lehrerin geworden und arbeitete in Teilzeit an einer Grundschule in Halstenbek. Katharina war Polizistin und Julia Buchhändlerin. Brainstorming, Meetings, Briefings und Updates waren uns allen vertraute Begriffe. Wir entwarfen und verwarfen Ideen, konstruierten wilde Entführungsszenarien, lachten uns kaputt und hatten wirklich Spaß miteinander.
Ich hatte schnell aufgeraucht und schon bald wieder Lust auf eine Kippe. Langsam musste ich mich mal wieder bremsen. Das war ja fast wie in meinen wildesten Jahren als Radio-Moderatorin, als ich eine Schachtel am Tag geraucht hatte. Und das auch noch im Studio! Na, die Zeiten waren ja eh vorbei. Die des Moderierens und die des Rauchens im Studio ebenfalls.
Mein Albtraum der letzten Nacht fiel mir ein. Huschhusch, hinfort, dich kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen, versuchte ich ihn auf Abstand zu halten. Was das wohl sollte? Ich hatte lange nicht mehr daran gedacht, zu moderieren, und es fehlte mir auch nicht. Ich war in meinem jetzigen Job so glücklich, wie man nur sein konnte.
Katharina, die Mama von Konrad, musste sich nach einigen Minuten verabschieden, aber wir würden sie auf dem Laufenden halten. Sie gab mir ihre Handynummer. Nach zwanzig Minuten waren wir einen Schritt weiter: Wir würden versuchen, alle zu erreichen, die wir kannten, um diese Veranstaltung platzen zu lassen wie eine Seifenblase. Irene hatte eine Freundin, die bei der Zeitung arbeitete, die wollte sie für Samstag einladen. Und wir würden beweisen, dass unsere Kinder keine Monster waren. Sondern dass man mit ihnen wirklich – zumindest manchmal – Spaß haben konnte.
Um fünf nach halb zehn schlich ich mich in die Konferenz, die um Punkt neun Uhr dreißig angefangen hatte, und tat so, als sei ich ein ganz normaler Mensch. Ohne Kinder.
Eva schaute mich mit einem zickigen »Das war ja mal wieder klar, die alte Zuspätkommerin«-Blick an, während Tanja, Jojo und Katja mich freudig anlächelten.
Möglichst leise quetschte ich mich neben Jojo, die mir einen Stuhl freigehalten hatte. Heute war die wichtige Quartalskonferenz
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