Haertetest
ebenfalls geliebt …
Meine Lebensgeister waren erwacht. Mehr fiel mir vorerst nicht ein, aber ich würde mich jetzt sofort Punkt eins widmen. Ich hatte Zeit, kein Geld, keinen Friseur, aber noch irgendwo eine alte Blondiercreme für Strähnchen zum Selbermachen im Badezimmer.
Also wühlte ich in unserem Badezimmerschränkchen und beförderte Windeln hervor, die Maja seit zwei Jahren nicht mehr brauchte, Feuchtigkeitsmasken, die mit Sicherheit schon so aus der Packung bröckelten wie die von gestern, Fußschwämmchen in Originalverpackung, etlichen anderen Krimskrams und Schnickschnack und endlich auch eine Packung Blondiercreme.
Mein Abend war gerettet! Lilly durfte mir gerne beim Nachfärben meiner Ansätze assistieren, wenn sie Zeit hatte. Ich fragte sie schnell per SMS , ob sie zum Haarefärben rüberkommen könnte.
Eine Anti-Spliss-Kur war auch dringend nötig, also kroch ich noch einmal in meinen Zauberschrank und wurde kurze Zeit später fündig. Wie praktisch, dass ich zu den Sammlerinnen gehörte. Während Jonas jeden Tag brav auf die Jagd nach Geld ging, sammelte ich unnötigen Kram, um unser Leben schöner und leichter zu gestalten. Das Prinzip der Jäger und Sammler hatte sich ja schon in grauer Vorzeit bewährt. Warum nicht auch heute?
Etwas besser gelaunt, weil ich mich auf meine Verschönerung freute, schaltete ich das Radio im Badezimmer ein. Megaradio war eingespeichert, und es lief die Wiederholung des Treuetests von gestern Morgen. Erschrocken drehte ich am Rädchen, bis ich Radio Hamburg und damit einen nichts sagenden Popsong fand. War was gewesen? Nö. Ich konzentrierte mich weiter auf die schnöde Oberfläche und ließ keinen Gedanken an Treuetests, Untreue, doofe Ehemänner oder gierige Praktikantinnen zu. Schnell hinfort, ihr Ungeheuer!
Aber da die Gedanken frei sind, ließen sie sich nicht in die hinteren Regionen meines Bewusstseins sperren. Sie flüsterten und wisperten gehässig und böse: Was soll das bringen, wenn du dir die Haare färbst? Wenn du zum Sport gehst? Wenn du dir neue Sachen kaufst? Glaubst du, das ist IHM wichtig?
Ach, Gedanken sind Arschlöcher. Nein, ihr Pissnelken!, raunzte ich zurück. Aber was anderes kann ich jetzt eben nicht machen, okay? Also lasst mich gefälligst in Ruhe!
Huuuuuh, da haben wir aber Angst! lachten die Gedanken, kicherten durcheinander, aber dann verhielten sie sich still. Sie mussten sich nämlich jetzt mit der Beschreibung der Blondiercreme beschäftigen. Das hatte ich ja noch nie gemacht. Also los:
Beiliegende Handschuhe anziehen, Anwendung erfolgt auf trockenem Haar.
Okay. Packung aufreißen. Handschuhe entnehmen. Anziehen. Geschafft.
Den gesamten Inhalt des Sachets (was zum Teufel war ein Sachet? Das Päckchen hier?) mit dem Aufhellpulver in die Auftrageflasche mit dem Entwicklerfluid geben.
Okay, das eine in das andere gefüllt. Geschafft. Das machte sogar Spaß!
Danach die Auftrageflasche sorgfältig verschließen und den Inhalt so lange schütteln, bis sich die Komponenten zu einer cremigen Emulsion vermischt haben. Danach sofort mit dem Auftragen beginnen.
Jupp.
Okay. Geschüttelt und nicht gerührt – die Emulsion war fertig. Ich schmierte gleichmäßig meine Ansätze damit ein. Fertig. Damit hatte ich ungefähr ein Zwölftel der Flasche verbraucht. Was machte ich jetzt mit dem Rest? Laut Packungsaufdruck durfte man den nicht aufbewahren. Ach, was soll’s, dachte ich. Wenn schon, denn schon! Wenn Jonas auf Blondinen stand, dann sollte er auch eine zu Hause haben. Ich strich den Rest der Masse relativ gleichmäßig auf meine Haare und nahm den Zettel wieder zur Hand.
2 / 3 der Blondieremulsion auf Längen und Spitzen auftragen, 1–2 cm am Haaransatz bleiben frei.
Wie bitte? Wieso bleiben die Ansätze frei? Die hatten es doch am nötigsten, und ich hatte sie ja auch bereits ordentlich dick eingefärbt? Ich verspürte ein leicht panisches Kribbeln im Magen und warf schnell einen Blick auf die Einwirkzeit.
Einwirkzeit: 15–20 Min. für ein leichtes bis mittleres Ergebnis.
Also dürfte es wohl nichts ausmachen, dass ich mir das Zeug fast bis auf die Kopfhaut gestrichen hatte. Ich sah in den Spiegel. Das sah doch schon mal, äh… Keine Ahnung. Musste das jetzt lila sein?
Bei Radio Hamburg liefen Nachrichten, es war zwanzig Uhr. Jonas hatte sich noch nicht gemeldet, Lilly auch nicht.
Um mir die Zeit zu verkürzen, bis ich das fliederfarbene Mus auf meinem Kopf auswaschen konnte,
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