Haertetest
gähnte. »Ich muss mal rüber. Hoffentlich kommt Jonas gleich.«
Ja, das hoffte ich auch. Mein flaues Gefühl im Magen war wieder da. Und dann wollte ich endlich in Ruhe mit ihm reden.
Ich stand schon an der Haustür, um Lilly zu verabschieden, als ihr noch etwas Wichtiges einfiel. »Noch was ganz anderes: Wir gehen übermorgen zur Wahrsagerin.« Wer wir? Sie meinte, wir beide?
»Meine esoterische Kollegin kann am Freitag ihren Termin nicht wahrnehmen. Die hat da irgend so ein Klangschalen-Entspannungswochenende. Da hab ich sie gefragt, ob wir nicht stattdessen dort hingehen können. Die Karten werden uns sagen, wie alles weitergeht.«
Lilly lächelte. So ganz überzeugt war ich davon nicht, aber ich würde sicher mitgehen. Ich musste es ja nicht allzu ernst nehmen. Aber schaden konnte es auch nicht. Lilly würde es vielleicht sogar guttun, und solange die Wahrsagerin uns nicht unseren baldigen Tod voraussagte, musste man sich wohl auch keine allzu großen Sorgen machen. Da ich mir überhaupt noch niemals die Karten hatte legen lassen und furchtbar neugierig war, wie so etwas funktionierte, willigte ich ein.
»Okay. Stand ja auf Platz vier der Liste«, gab ich nach.
Aber was sollte die Wahrsagerin mir schon wahrsagen? Es hieß doch, eine Frau spürte es, wenn der Mann sie betrügt. Aber spürte ich das wirklich? Im Moment spürte ich nur meine malträtierten Muskeln und meinen nicht ganz verstauchten Knöchel.
Lilly und ich drückten uns kurz, ich beteuerte noch mal, dass das Babyzimmer auf sie wartete, dann schloss ich die Tür und humpelte die Treppe hinauf.
Als ich einen Blick in Majas Zimmer warf, hörte ich sie leise schnarchen. Vorsichtig schlich ich in ihr rosa Reich und betrachtete sie im Licht der Blumenlampe an der Wand. Die süße Schnute, die langen Wimpern ihrer geschlossenen Augen. Von wegen leise schnarchen, Maja schnarchte so laut, dass ich fast lachen musste. Sie hatte so viel von mir, aber auch von Jonas.
Was wäre, wenn wir uns wirklich trennen würden? Wenn es künftig nicht mehr hieße, »Jonas, Sophie und Maja gegen den Rest der Welt«, sondern Jonas und Jessica? Wie wäre das für Maja, für ihr weiteres Leben? Und für mich? Alleinerziehend – nein, danke. Würde sich alles wiederholen? Mein Vater hatte meine Mutter wegen einer anderen Frau verlassen, als ich zwölf war. Dieses Schicksal wollte ich Maja auf jeden Fall ersparen, solange es in meiner Macht stand.
Ich strich Maja über die wirren Haare, sie grunzte im Schlaf, wehrte meine Hand ab wie ein kleines wildes Tierchen, das sich nicht anfassen lassen wollte, und ich schlich leicht hinkend aus dem Zimmer hinaus.
Schon gegen halb zehn sank ich in mein Bett. Als ich nachts einmal kurz aufwachte, lag Jonas neben mir. Er roch nach Theater. Ich drehte mich mit dem Rücken zu ihm und schlief wieder ein.
Donnerstag 21.10.
Draußen war es noch stockfinster. Ein heftiger Wind tobte ums Haus und ließ Zweige gegen das Küchenfenster schlagen. In der Scheibe spiegelte sich, wie wir uns am Küchentisch gegenübersaßen. Ich rührte in meinem Milchkaffee und sah Jonas abwartend an.
Um halb sechs hatte sein Wecker geklingelt, und statt mich wie sonst auf die andere Seite zu wälzen oder weiterzuschlafen, war ich mit ihm aufgestanden. Wenn der Berg nicht zum Propheten kam, musste wohl der Prophet zum Berg, in diesem Falle ich zu Jonas, kommen. Ich wollte nicht länger warten. Dieses Gespräch musste jetzt stattfinden. Verwundert sah er mich an, als ich verschlafen die Bettdecke zurückschlug.
»Warum stehst du auf? Du hast doch heute frei, und Maja schläft noch?«
»Da wunderst du dich? Ich würde gerne mal fünf Minuten in Ruhe mit dir sprechen.«
Er sah schon ganz schön zerknirscht aus.
»Ja, na klar können wir sprechen. Es muss wohl auch sein. Ich hab auch was für dich. Aber es sollte eigentlich eine Überraschung sein. Steht in der Küche.«
Jetzt saßen wir hier, und in der Mitte des Tisches stand ein riesiger Strauß roter Rosen. O wie klischeehaft!, dachte ich wütend, als ich ihn beim Betreten der Küche gesehen hatte. Also hatte er doch was mit Jessica gehabt? Heißt es nicht, Männer, die ein schlechtes Gewissen haben, schenken Rosen? Wann hatte mein Mann mir das letzte Mal Rosen geschenkt? Ich konnte mich nicht daran erinnern.
Es war ungewohnt, fast schon absurd, mit meinem Mann frühmorgens in der Küche zu sitzen; überhaupt mit ihm in einem Raum zu sein, der nicht das Schlafzimmer war. Wir
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