Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
würde.
»Wie ihr auf dem Stundenplan seht, habt ihr dienstags Sport. Freitags haben wir nachmittags ZfG, Zur freien Gestaltung. Das ist eine Art Klassenrat, da diskutieren wir Dinge, die euch als Klasse angehen. Zum Beispiel, wenn ihr Geld für eine Klassenfahrt sammeln wollt.«
Emma studierte die großen Brüste und die breiten Hüften der Lehrerin, die man deutlich unter dem Rock sehen konnte. Ein wogender, ausladender Überfluss, der zum Zubeißen einlud. Ein großer Busen, der Geborgenheit hätte versprechen können, wenn Maj-Lis nicht so nervös gewesen wäre.
Das Pausenklingeln riss Emma aus ihren Gedanken.
Kurz darauf schlugen die großen Eingangstüren hinter Emma und Julia zu. Sie liefen planlos über den großen, asphaltierten Hof, er kam ihnen riesig vor, verglichen mit dem Schulhof der kleinen Mittelschule, wo es Schaukeln und Klettergerüste gab. Hier gab es nichts, was an Kindheit erinnerte. Statt einer Schaukel gab es ein weißes Raucherviereck auf dem Asphalt, gut versteckt hinter ein paar Büschen, aber immerhin, eine Raucherecke! Da waren ein paar Gestalten zu sehen, die laut lachten. Nur die Allercoolsten standen in der Raucherecke, es war bekannt, dass es den Eltern berichtet würde. Wer weiterhin heimlich rauchen wollte, ging über die Straße in den großen Park, da gab es Verstecke und Ecken, wo man unsichtbar bleiben konnte.
Sie schauten zum Park hinüber, Emma wurde plötzlich von dem Gefühl erfasst, viel kleiner zu sein, als sie zugeben wollte, ihr wurde kalt, und sie war voller Zweifel.
»Wie finden wir denn diese Maj-Lis?«
Emma setzte sich auf den Gepäckträger eines roten Fahrrads.
»Ganz okay, nett, ein bisschen nervös.«
Julia schaute zum Schulhof hinüber, wo die Klassenkameraden in Gruppen zusammenstanden.
»Sollen wir nach der Schule zum Nebelwald gehen und schauen, ob der Rhabarbermann da ist?«
»Ich weiß nicht, glaubst du wirklich, dass der noch mal kommt?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Okay. Aber nur kurz. Ich muss heute zum Essen zu Hause sein.«
Gustav kam mit einem neuen Jungen. Sie schlängelten sich durch die Fahrräder, die ineinander verhakt waren. Gustav kannten sie schon seit dem Kindergarten, waren mit ihm in die Grund- und Mittelschule gegangen. Er war so vertraut wie ein abgenutzter alter Sessel, wie Gewürze im Essen, wie ein Bruder. Seine neuen Turnschuhe glänzten weiß. Er hatte sie zum Schulanfang bekommen, ansonsten war keine Veränderung zu sehen, er war genau wie immer. Genauso klein, genauso unpickelig, unflaumig, unpubertär, dasselbe offene Gesicht und dieselbe helle Stimme.
»Hallo. Habt ihr Cesar schon kennengelernt?«
»Nein. Hallo!«
Emma starrte Cesars dunkle Haare und seine braunen, neugierigen Augen an. Er war einen Kopf größer als Gustav, er trug schmale schwarze Jeans und grobe Militärstiefel, die ihn noch ein paar Zentimeter größer machten. Sie entgegnete sein breites Lächeln, zu ihrem Erstaunen liefen ihr Ameisen über die Arme, ein Gefühl wie Eis, das auf der Haut schmilzt, ein kaum wahrnehmbares Kitzeln, das vom Magen zum Zwerchfell kriecht, weshalb sie schnell seine ausgestreckte Hand wieder losließ. Julia bemerkte es, und Emma schaute verlegen zu Boden, um ihrem und Cesars Blick auszuweichen.
Cesar wandte sich an Julia und begrüßte sie. Vorsichtig schielte Emma zu ihnen hinüber und sah, dass Gustav sie skeptisch beobachtete. Ihr wurde klar, dass sie sich genauso bescheuert benahm wie die Pudelrocker.
»Wir müssen gehen, wir sehen uns später noch!«
Sie drehte sich um und lief los, ohne sich umzuschauen. Julia holte sie kurz darauf ein und piekste ihr in den Rücken.
»Was war das denn? Was ist passiert?«
Emma ging langsamer, aber sie wollte Julias fragendem Blick nicht begegnen.
»Nichts. Ich weiß nicht.«
Ihre Stimme klang ärgerlich, und Julias Frage blieb in der Leere zwischen ihnen hängen.
»Ich werde vielleicht krank.«
Sie hörte, wie lahm es klang, und genau, Julia kniff den Mund zu einem Strich zusammen, der deutlich zeigte, dass sie dieser Erklärung nicht glaubte.
Der Nachmittag bestand aus weiteren farblosen Klassenzimmern und neuen Lehrern, die sich vorstellten, Bengt und Gunnar, René und Solveig. Willkommen in der Oberstufe, willkommen, willkommen.
Wörter wie »Schülerdemokratie« und »parlamentarischer Reichstag« wurden in die trockene, abgestandene Luft der Klassenzimmer gespuckt, drei Jahre lang würden diese Räume ständig danach schreien, gelüftet zu werden. Was aber
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