Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
das gesprochen, was vor einigen Wochen passiert war, als Julia den ganzen Abend im Baum geblieben war. In der Schule war Cesar immer an ihrer Seite, obwohl Emma darauf bestand, dass sie und Julia im Klassenzimmer nebeneinander saßen. Sie spielte ihre Rolle schlecht, und sie wusste, dass Julia das auch fand, Julia tat nach der Schule immer so, als ob sie etwas vorhätte, um schnell nach Hause verschwinden zu können. Sie hatte konsequent alle Vorschläge zu einem Treffen abgelehnt.
Emma errötete, als ihr bewusst wurde, wie erleichtert sie war, sich nicht entscheiden zu müssen. Wenn sie mit Julia zusammen war, konnte sie nur die Rolle der Emma spielen, wie sehr sie sich auch bemühte, unbekümmert und unverändert zu sein. Julia hörte jeden falschen Ton, und Emma wusste, dass Julia wusste, dass zwischen ihnen etwas anders war. Nichts war wie zuvor und konnte es auch nie wieder werden.
Cesar sprach Julia an, bestimmt auch, um seinen guten Willen zu zeigen.
»Du kommst doch auch heute Abend, oder? Es wird bestimmt toll!«
Überall in der Schule hingen Plakate wegen der Disco, die das Jugendzentrum am Luciabend organisierte.
Julia sah bedrückt aus.
»Mal sehen. Vielleicht, wenn es mir nicht zu viel ist.«
Irgendetwas in Emma ging kaputt, als sie Julias misslungenen Versuch sah, anwesend zu wirken. Aus dem Riss quoll die alte Sehnsucht hervor, die unverstellte Sehnsucht, die nach Nähe und Freundschaft rief. Plötzlich wollte sie so unglaublich gerne, dass Julia mit zur Disco kam. Ein letzter verzweifelter Versuch, so zu tun, als habe sich nichts verändert. Die Lucia-Disco erschien ihr als die letzte Chance, alles wiedergutzumachen. Bilder von ihnen dreien, Cesar, ihr und Julia, wirbelten in Emma umher, und sie begann einen hartnäckigen Überredungskampf.
»Wir können uns zuerst bei mir zu Hause treffen und dann zusammen hingehen. Du kannst bei uns essen, ich weiß, dass Annika sich unglaublich freuen würde!«
Sie schaute Julia hoffnungsvoll an und drückte ihren Arm. Julia sah aus, als würde sie registrieren, was Emma sagte, reagierte jedoch nur mit leerem Blick, unerreichbar für alte Sehnsüchte. In einer anderen Zeit wären sie aufgekratzt gewesen, in einer anderen Zeit wäre es vermutlich ihr wichtigstes Gesprächsthema gewesen. Sie hätten stundenlang darüber reden können, den Abend von allen Seiten beleuchten. Nun war es nur eine langweilige Information, die nicht ankam. Emma sah es, das machte sie noch eifriger, Julia aus ihrem Schlaf zu wecken.
»Julia, bitte! Komm schon!«
»Ja, mal sehen. Vielleicht.«
Es klingelte, ein neuer Schultag begann.
In Politik zeigte Gunnar einen Film über Indien. Die größte Demokratie der Welt. Das Klassenzimmer war abgedunkelt, und aus den Augenwinkeln sah Emma, wie Julia sich bemühte, die Augen offen zu halten. Sie lehnte den Kopf an die Wand, damit es so aussah, als würde sie den Film anschauen, hatte die Augen aber geschlossen. Sie konnte sie gut verstehen, Emma hätte auch lieber geschlafen, als diesen langweiligen Film anzuschauen.
Gedanken strömten ihr durch den Kopf, sie tat so, als würde sie sich auf den Film konzentrieren, als sie plötzlich erschrak, weil Julia ihr direkt ins Ohr schrie.
Gunnar suchte den Lichtschalter, es dauerte eine Weile, bis er ihn gefunden hatte. Die Lautsprecherstimme erzählte immer noch über Gandhi, Julias Schreien verebbte langsam. Es war das gleiche Schreien, das Emma im Wald gehört hatte, als Julia sich im Baum versteckt hatte.
Die Leuchtröhren an der Decke gingen an, die ganze Klasse schaute zu Julia.
Gunnar atmete schwer vor Anstrengung und stöhnte, als er vor Julias Bank stehen blieb.
»Was ist mit dir?«
Julia schaute ihn mit großen, glänzenden Augen an und antwortete leise.
»Entschuldigung. Ich bin wohl eingeschlafen und habe etwas geträumt.«
»Aha.«
Gunnar schaute verwirrt in die Klasse.
»Aha. So, so. Dann machen wir mit dem Film weiter.«
Er machte die Leuchtröhren wieder aus und ging zurück zum Filmprojektor. Es herrschte atemlose Stille. Erst als die Lautsprecherstimme weiter über Gandhi erzählte, war ein leises Flüstern zu hören, und dann Gunnars Stimme im Dunkeln, die »Psst!« sagte.
Emma legte die Hand auf Julias Schulter, aber Julia drehte sich zur Wand. Vorsichtig streichelte sie ihren Rücken, hinauf und hinunter, mit langsamen Bewegungen. So wie Annika es so oft machte, wenn sie selbst Trost brauchte. Aber Julia ließ sich offenbar nicht mehr trösten.
Am Nachmittag
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