Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
wie Cesar sich freute, verstand sie Julia plötzlich. Sie wollte keine Zuschauerin sein.
Auf dem Schulhof standen die Leute in kleinen Gruppen zusammen. Hierarchien waren nur für die Eingeweihten sichtbar. Die Neuntklässler hatten ihren unangreifbaren Status, weil sie die Ältesten waren, der blödeste Neuntklässler war immer noch cooler als die meisten Siebtklässler. Emma sah, dass Vicky, Monika und Cissi hinter der großen Kastanie standen und rauchten. Um sie herum standen ein paar Jungs aus der Neunten. Danne hatte blonde Haare, die sich im Nacken lockten, er trug Jeans und ein weißes Hemd. Schön wie ein Gott, mit traurigen Augen, die von üblen Lebenserfahrungen und Geheimnissen zeugten, schleppte er gelangweilt ein Gefolge von bewundernden Danne-Kopien hinter sich her. Vicky lachte ihr helles Mädchenlachen, als Danne ihr die Zigarette klaute und selbst einen Zug nahm.
Eine dünne Schicht Neuschnee hatte die Welt weiß überzuckert und bedeckte den grauen Asphalt.
Die Kälte machte Rauch aus dem Atem, es sah absurd aus, wie es aus den Mündern qualmte.
Cesar stand bei Gustav und Helena, er umarmte zuerst Julia. Sie schaute ihn verlegen an und erwiderte die Umarmung steif.
Gustav und Helena umarmten sie auch, und für einen Moment sah es so aus, als wären sie eine Gruppe von Freunden.
Emma schaute Julia an und war erleichtert, als diese lächelte.
Vielleicht spürte auch Julia den kurzen Moment der Normalität, dass das Leben einfach und nett sein konnte. Manchmal.
Aber dann fingen Gustav und Helena plötzlich an, miteinander zu knutschen, demonstrativ und stolz.
War das der Moment, in dem Julias hart erkämpfte Lebensfreude abkühlte? Die Erkenntnis, dass sie mit zwei frisch verliebten Paaren zusammen war, die eigentlich nur miteinander knutschen wollten, ohne gestört zu werden?
Als Cesar rief, dass sie nun tanzen müssten, weil da drinnen The Clash gespielt wurde, hatte das Schwarze in ihrem Innern bereits Oberhand gewonnen. Sie schüttelte den Kopf, als Emma sie fragend anschaute. Gustav und Helena waren schon zusammen mit Cesar in den Saal und auf die Tanzfläche gelaufen. Emma zögerte, sie schaute mal flehend Julia an, dann wieder sehnte sie sich nach dem hüpfenden Trio, das noch die ganze Tanzfläche für sich hatte.
»Geh tanzen! Das ist okay, wirklich. Wir sehen uns nachher.«
Emma schaute sie forschend an.
»Bestimmt? Hundert Prozent?«
Julia lächelte noch breiter.
»Hundert Millionen Prozent! Ich komme gleich nach, ich hol mir nur etwas zu trinken!«
Das überzeugte Emma, weil sie sich überzeugen lassen wollte. Sie spürte die innere Unruhe, aber sie entschied sich dafür, sie zu ignorieren und Julia beim Wort zu nehmen. Im Saal tanzten Cesar und die anderen einen wilden Tanz, und als sie sich ihnen anschloss, war sie irgendwie erleichtert. Sie genoss es, Julias missmutige Miene und ihren vorwurfsvollen Blick nicht zu sehen. Das alles machte viel mehr Spaß, wenn Julia nicht in der Nähe war.
Aber Julia kam nicht nach. Erst wurde Emma ärgerlich, warum war sie bloß so dickköpfig? Warum konnte sie nicht fröhlich sein, so wie die anderen? Erst als eine Stunde vergangen und sie planlos im Saal und auf dem Schulhof umhergegangen war, spürte Emma ein ungutes Gefühl im Bauch. Es pochte und zuckte, als wollte es etwas sagen. Bald verdrängte die Sorge den Ärger, sie fauchte Cesar an, dass sie keine Lust mehr auf Tanzen habe.
Es verging eine weitere Stunde, in der sie überall suchten, ohne Julia zu finden.
»Warum habe ich sie bloß allein gelassen! Jetzt ist sie bestimmt nach Hause gegangen, weil wir immer nur getanzt haben! Verdammte Scheiße!«
Cesar tätschelte ihr vorsichtig die Schultern.
»Wir werden sie schon finden. Oder sie ist tatsächlich nach Hause gegangen, es ist bestimmt alles okay.«
»Du verstehst überhaupt nichts! Du kennst Julia nicht, sie kann alles Mögliche machen. Ich spüre, dass etwas passiert ist.«
Sie konnte das Weinen nicht mehr zurückhalten, Julias Flucht zum Baum war noch frisch in ihrer Erinnerung. Cesar nahm sie in den Arm, um sie zu trösten.
»Aber jetzt wissen wir auf jeden Fall, dass sie nicht mehr hier ist, denn sonst hätten wir sie gefunden. Sollen wir zu ihr nach Hause gehen und schauen, ob sie dort ist?«
»Ja, das wäre vielleicht das Beste.«
Sie verabschiedeten sich von Gustav und Helena, die in einem langen Kuss ineinander verschlungen auf der Tanzfläche standen, zu den Klängen von Lionel Richies »Say you, say
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