Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
hatte. Der Himmel war bereits nachtschwarz und voller Schneeflocken, und ganz weit da oben brannten die Sterne für sie.
Vor Emmas Tür blieben sie stehen und schauten sich an.
»Holst du mich um halb acht ab?«
»Auf jeden Fall!«
Julia warf ihr eine Kusshand zu, und Emma schürzte übertrieben den Mund als Antwort. Sie schaute Julia noch lange nach.
Man hörte die Musik im ganzen Treppenhaus, Emma nahm drei Stufen auf einmal und lachte vor sich hin. Es war Freitag, und Annika läutete das Wochenende ein, indem sie in voller Lautstärke Bob Dylan spielte. Emma zog die Winterschuhe und die Steppjacke aus und ließ sie als nassen Haufen im Flur liegen. Jetzt wollte sie nur in Annikas Nähe sein. Sie lief in die Küche, Annika sang und schnippelte Zwiebeln und Möhren, es sollte wohl eine vegetarische Lasagne werden. Sie umarmte sie von hinten, Annika lächelte und sang weiter.
Nach ein paar Sekunden drehte Annika sich um und machte die Musik etwas leiser. Sie schaute Emma fragend an.
»Julia und ich haben uns versöhnt. Sie ist nicht böse auf mich!«
»Das freut mich aber!«
»Und heute Abend gehen wir in die Disco! Julia holt mich um halb acht ab!«
»Gut! Chris kommt ungefähr zur gleichen Zeit hier vorbei.«
Emmas Lächeln erlosch. Chris war Annikas neuer Freund, Liebhaber, wie immer man es nennen wollte. Es war bestimmt kindisch und egoistisch, aber sie konnte nichts dafür, sie wurde einfach sauer, wenn Annika über ihr sogenanntes Liebesleben redete. Mit allem, was dazugehörte. Und am wenigsten konnte sie ausstehen, wenn Annika die Kerle nach Hause einlud.
»Bleibt er über Nacht?«
»Vielleicht, mal sehen. Wieso?«
»Ich finde es anstrengend, wenn fremde Männer bei uns zu Hause rumhängen.«
»Chris ist doch nicht fremd. Du hast ihn doch schon ein paar Mal getroffen!«
»Für mich ist er fremd. Aber lass uns nicht darüber streiten. Heute Abend will ich gute Laune haben.«
»Das klingt gut. Prost!«
Annika nahm ein Glas Rotwein und trank einen Schluck.
Emma stand vor dem Spiegel und studierte ihr Gesicht. Ein roter Pickel auf der Stirn strahlte sie böse an. Sie kämmte Haare darüber. Dann nahm sie den schwarzen Kajalstift und malte eine dicke Linie ums Auge. Sie sah völlig anders aus, erwachsener und viel gefährlicher. Vor allem lenkte es die Aufmerksamkeit von den mausbraunen, herunterhängenden Haaren ab. Der blutrote Lippenstift ließ die Lippen glänzen. Ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Opa-Weste, die sie in Ullas Secondhandladen gekauft hatte, machten die Verwandlung vollkommen. Mit einem schwarzen Rock und schwarzen Netzstrümpfen wurde aus ihr die andere Emma, die nicht unbedingt dreizehn, sondern vielleicht vierzehn oder fünfzehn war.
Sie ging zu Annika, die auf dem Sofa lag und in der Zeitung blätterte. Sie blickte auf und sah sie stolz an:
»Wie hübsch du aussiehst!«
Emma verzog das Gesicht.
»Hübsch?«
»Okay. Saucool? Ja, du siehst saucool aus!«
»Ach was.«
Emma setzte sich zu ihrer Mutter und machte den Fernseher an. Der Wetteronkel erzählte, dass weiterhin Schnee fallen würde, niedrige Temperaturen zu erwarten waren. Kälte und Schneeregen.
Sie hüpften beide hoch, als es klingelte. Emma lief zur Tür und umarmte Julia. Ihre plumpen Doc-Martens-Stiefel und die schwarzen, engen Jeans ließen ihre Beine noch dünner aussehen. Magere Vogelbeine, fest verankert in den schweren Stiefeln. Die Haare waren zu einem lockeren Pferdeschwanz hochgebunden und zeugten davon, dass sie sich ausnahmsweise ein wenig Mühe mit ihrem Aussehen gegeben hatte. Annika kam in die Diele und umarmte Julia fest und lange.
»Hallo! Ich freue mich so, dich mal wieder zu sehen!«
Julia sagte nichts, erwiderte jedoch die Umarmung und machte keine Anstalten, sich aus Annikas Armen zu befreien. Emma zog die Stiefel und die Winterjacke an und stampfte dann ungeduldig mit dem Fuß auf.
»Hallo! Aufhören, wir müssen los!«
Annika und Julia ließen einander los und schauten Emma lächelnd an.
»So, ich wünsche euch einen ganz tollen Abend.«
»Ja, und du, mach es dir nicht allzu nett mit diesem Chris!«
Annika schaute zu Julia hinüber und verdrehte die Augen.
»Ist das zu verstehen, dass ich einen Moralapostel an meinem Busen genährt habe?«
»Nein, das ist unbegreiflich.«
Julia lächelte und hielt Emma die Tür auf.
Als sie den Schulhof betraten, wartete Cesar schon auf sie. Emma schielte besorgt zu Julia hinüber. Bereute sie schon, mitgekommen zu sein? Als sie sah,
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