Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
keine Angst zu haben!«
Aber dieses Mal konnte Annikas Geplapper Emma nicht beruhigen. Im Gegenteil. Sie wusste, dass sie eine Demonstration von Macht gesehen hatte. Sie verstand, was Gisela und Julia die ganze Zeit gewusst hatten, Carl war zu allem fähig.
Sie glaubte nicht, dass sie einschlafen würde, aber offenbar war sie doch weggedämmert, denn als sie Gisela aus der Küche schreien hörte, war es hell und die Uhr zeigte neun.
Giselas erregte Stimme übertönte Annikas beruhigende. Gisela lief hin und her, sie zitterte vor Aufregung. Annika stand am Herd und rauchte, ihre gierigen Lungenzüge verrieten, dass auch sie nervös war.
»Was ist passiert?«
Emma stand in der Tür und schaute sie an. Sie zuckten zusammen, hatten nicht damit gerechnet, dass noch jemand wach war.
»Er will die Kinder!«
Gisela schluchzte und schlug die Hände vors Gesicht.
Annika drückte ihre Zigarette aus und nahm Gisela in den Arm.
»Das wird ihm nicht gelingen, das verspreche ich dir!«
Sie schaute Emma an.
»Gerade hat ein Anwalt namens Cederström angerufen und sich als Carls Anwalt vorgestellt und gesagt, dass Carl wissen wolle, wann er seine Kinder, die ihm entzogen worden seien, sehen könne.«
»Aber … das geht doch nicht? Er kann doch Julia nicht zwingen, ihn zu treffen?«
»Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, ob er laut Gesetz ein Recht dazu hat, aber da das Gesetz in diesen Fragen völlig unbrauchbar ist, gedenke ich hochachtungsvoll darauf zu scheißen, was das Gesetz sagt. Selbstverständlich braucht Julia diesen Wahnsinnigen nie wieder zu treffen. Und Erik auch nicht, er hat seine Rechte als Vater verwirkt.«
Den letzten Satz zischte sie und zündete sich wieder eine Zigarette an.
»Ich habe Klara gebeten, herzukommen, damit wir besprechen können, wie wir uns am besten verhalten. Sie ist Sozialarbeiterin und weiß, wie so etwas geht.«
Gisela schlug sich leicht mit der Hand an die Stirn.
»Ich habe es gewusst! Ich habe es …«
Emma saß schweigend neben Gisela und schenkte sich eine Tasse Tee ein. Annika schaute sie gedankenverloren an.
Klara kam eine halbe Stunde später, setzte sich an den Küchentisch und erzählte mit leiser Stimme, wie der Sozialdienst arbeitete. Über erniedrigende Ermittlungen gegen sogenannte hysterische Mütter.
»Kein Wunder, dass sie hysterisch sind, wenn sie gerade erkannt haben, dass ihr Mann oder Lebensgefährte sich an ihren Kindern vergriffen hat!« Klara schaute Annika mit schmalen Augen und unterdrücktem Zorn an, Gisela starrte in die Kaffeetasse.
»Den Umgang zu verweigern ist genauso ein Vergehen wie das eigene Kind zu kidnappen, das macht sich nie gut in einem Prozess, selbst wenn die Mutter behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben. Diese Fälle enden oft damit, dass der Vater das Sorgerecht bekommt.«
Gisela schaute aus dem Fenster und versuchte, sich zu beherrschen. Klara sah zu ihr hinüber und fuhr fort. »Tut mir leid, aber ich sage nur, wie es ist. Ich habe es nur zu oft erlebt.«
Gisela wandte sich an Klara.
»Aber ich verstehe einfach nicht … ich weigere mich, zu akzeptieren, dass unser Rechtssystem so erbärmlich funktioniert!«
Klara schaute sie ernst an und nickte.
»Sie wollen es nicht sehen! Und solange es keine Beweise gibt, ja, selbst wenn es Beweise gibt, dann glaubt man lieber der Geschichte des Vaters über eine rachelüsterne Mutter, die lügt, um das Sorgerecht zu bekommen. Es ist ganz einfach die bequemere Version, sie tut weniger weh, als zuzugeben, dass ein erwachsener Mann sich an einem kleinen Kind vergreift.«
Sie erzählte weiter, die Zigarettenschachtel wurde immer leerer.
»Ironischerweise trauen sich Kinder erst im Verlauf eines Scheidungsprozesses, etwas zu erzählen. Erst wenn sie dem Täter entkommen sind, können sie erzählen, was ihnen widerfahren ist. Wenn man will, und leider wollen das viele, kann man die Berichte von Übergriffen leicht mit Sorgerechtsauseinandersetzungen verknüpfen. Das wissen die Anwälte, und deswegen tun sie alles, um die Mutter als hysterisch und rachsüchtig dastehen zu lassen.«
Klara stand auf.
»Das Positive an dieser Geschichte ist, dass Julia alt genug ist, um selbst zu entscheiden. Sie ist über zwölf, und je älter die Kinder sind, desto weniger kann man gegen ihren Willen handeln.«
Gisela schaute plötzlich auf.
»Carl hat sich nie für die Kinder interessiert. Er hat sich immer nur um seinen verdammten Job gekümmert! Dass er nun das alleinige Sorgerecht für die Kinder
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