Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
Bild zu ihrem vierten Geburtstag von ihrer Großmutter Elin bekommen und viele Minuten und Stunden damit zugebracht, es anzuschauen und darüber zu fantasieren. Ein Bild des Schreckens und der Gefahr, und dann der wunderbare Trost, dass es im Hintergrund jemanden gab, der seine schützende Hand über einen hielt. Als sie es jetzt anschaute, fühlte sie nichts als Enttäuschung und Wut. Sie zog das Bild aus dem Rahmen und zerriss es in kleine Stücke.
»Verdammter Scheißengel. Du hässlicher, blöder Scheißengel!«
In dieser Nacht lag Emma wach und starrte an die Decke, die vom Nikotin vergilbt war. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals solche Angst gehabt zu haben.
Natürlich hatte sie gewusst, dass es das Böse gab. Dass ständig und überall in der Welt schreckliche Sachen passierten, böse Dinge, die Menschen sich gegenseitig antaten. Aber es war das erste Mal, dass sie selbst mit etwas so durch und durch Schwarzem in Berührung gekommen war.
Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf. Szenen und Situationen, die sie verdrängen wollte. Sie versuchte, sich an Annika zu kuscheln, die neben ihr lag, aber die stöhnte, als würde sie etwas Schreckliches träumen, und das machte Emma noch mehr Angst. Schließlich stand sie auf und ging in die Küche. Sie machte kein Licht an, setzte sich auf einen Stuhl und schaute aus dem Fenster auf die Straße. Die war leer, kein Auto kam vorbei. Aus dem Schlafzimmer hörte sie das Bett knarren, dann tapsende Füße, und Annika kam in die Küche.
»Kannst du nicht schlafen?«
Emma nickte.
Annika seufzte und zündete sich eine Zigarette an.
»Das geht uns wohl allen so.«
Sie setzte sich und rauchte.
»Wir müssen uns zusammennehmen, damit Weihnachten wenigstens ein klein wenig Freude verbreitet.«
Sie starrte aus dem Fenster und schien mehr mit sich selbst zu sprechen.
»Großmutter Elin kommt am Heiligabend, und vielleicht schafft es auch Mattias. Chris ist ja schon nach England gefahren, um mit seinen Eltern und Geschwistern zu feiern. Habe ich dir erzählt, dass seine Familie in einem riesigen Steinhaus auf dem Land wohnt?«
Emma schüttelte den Kopf, Annika schien es nicht zu sehen, sie plapperte mechanisch weiter.
»Es ist schon eher ein Gut, er hat mir Fotos gezeigt. Unglaublich schön, eine offene Landschaft mit Pferden auf der Weide. Ich kann verstehen, dass er sich nach Zu Hause sehnt, aber dort könnte ich nicht leben. Stockkonservativ mit uralten, absurden Regeln und Verpflichtungen.«
Sie zündete sich die nächste Zigarette an und machte einen tiefen Zug. Ihr Geplapper hatte Emma tatsächlich ein wenig beruhigt. Es war angenehm, über normale Dinge zu reden, steinerne Herrschaftshäuser und offene Landschaft. Emma sah es geradezu vor sich und lächelte. Stellte sich vor, was die Familie von Chris über Annika denken würde, wenn sie sie jemals treffen sollte.
Eine Bewegung unten auf der Straße ließ Emma erstarren. Ein schwarzer Schatten bewegte sich hinter einem Baum direkt unter dem Fenster. Sie schnappte nach Luft und machte Annika ein Zeichen, näher zu kommen und auch zu schauen. Plötzlich trat jemand hinter dem Baum hervor und starrte zu ihnen hoch. Emma schrie auf, ihre Beine gaben nach. Kraftlos ließ sie sich auf den Stuhl sinken und beobachtete weiter die Gestalt. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die Asche von Annikas Zigarette länger wurde, sie war in einem eigenartigen Winkel zum Fenster erstarrt.
Der Mann trug einen schwarzen Mantel und eine Wichtelmaske. Die Maske grinste blöd, hatte kleine Öffnungen für Augen und Mund und einen weißen Bart. Er stand da unten voll sichtbar und schaute zu ihnen hinauf. Er muss die Zigarettenglut gesehen haben, dachte Emma. Wie sonst sollte er wissen, dass wir wach sind?
Sie konnte sich nicht von seinem Anblick losreißen, obwohl sie am liebsten ins Bett zurück und unter die Decke gekrochen wäre.
Erst als er langsam die Hand hob und ihnen zuwinkte, ließ die Lähmung nach. Diese Handlung hatte etwas so Selbstsicheres und war so grenzenlos in ihrer Dummheit. Emma lief ins Schlafzimmer. Vielleicht hatte ihre offensichtliche Angst Annikas Zorn geweckt. Fluchend und wütend kam sie ins Schlafzimmer und setzte sich aufs Bett.
»Jetzt ist dieser Scheißkerl zu weit gegangen! Irgendwo gibt es eine Grenze für den Wahnsinn in dieser Welt. Dem werde ich es zeigen. Hab keine Angst, mein Schatz, es ist nur ein dummer, wahnsinniger alter Mann, vor dem braucht man
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