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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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sich unser Verstand eine Illusion zu Eigen.«
    Ein Kellner bringt das Essen und ihr Gespräch verstummt. Swensen hatte vor geraumer Zeit durchgesetzt, während des Speisens, wie er es ausdrückte, nicht zu sprechen. Alle Sinne sollen sich allein auf den Geschmack konzentrieren. Anna fand das am Anfang ziemlich albern, lernte Swensens buddhistischen Spleen, wie sie es nannte, dann aber selbst zu schätzen, so dass sie sich ein Gespräch bei Tisch heute selber nicht mehr vorstellen kann.
    Liebevoll betrachtet sie, wie Swensen das köstliche Mahl genießt.
    „Übrigens«, nimmt er dann das Gespräch wieder auf, »ich habe deinen Text über die ›Narzisstische Persönlichkeitsstörung‹ gelesen. Die Verquickung mit dieser Kindergeschichte von Storm finde ich ziemlich spannend. Ich kann daran die Entstehung so einer Störung ganz gut nachvollziehen, aber für mich fehlt der praktische Bezug.«
    »Versteh’ ich nicht!«
    »Ganz einfach. Wie erkenne ich als ›Otto-Normal-Kommissar‹ einen Menschen mit einer solchen Störung? Wie gibt der sich? Wie verhält der sich?«
    »Ach so, jetzt versteh’ ich, aber das war nicht meine Intention bei dem Vortrag.«
    »Ist aber meine! Ich, Jan Swensen, würde das gerne wissen.«
    »Du meinst, falls dir mal zufällig ein narzisstisch gestörter Mörder über den Weg laufen sollte?«
    »Genau! Bei der Kripo interessiert man sich nicht nur für das ›WIE‹, sondern auch für das ›WARUM‹!«
    »Häääh?«
    »Fakten, Anna, Ermittlungsfakten. Warum hat der Mörder es gemacht und nicht nur wie hat er es gemacht!«
    »Nun, das ›WARUM‹ einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist nicht unbedingt auffällig. Ein Mensch mit so einer Störung ist meistens überdurchschnittlich leistungsbereit und belastbar. Er muss sich ständig seinen eigenen Wert beweisen oder vielmehr seine Wertlosigkeit widerlegen um sich als nützliches Mitglied unserer Gesellschaft zu empfinden.«
    »Gibt es nicht eindeutige Merkmale, eher etwas holzschnitt-artig, die ein Psycho-Laie wie ich auf Anhieb kapiert?«
    »Nun ja, so ein Mensch neigt zu Egozentrik und Selbstüberschätzung. Er prahlt oft mit seinem Wissen und Können und versucht andere für seine Interessen zu manipulieren.«
    Trifft das nicht ein wenig auf uns alle zu, denkt Swensen, führt die Teeschale an die Lippen und schmeckt das rauchige Bouquet der Teesorte. Plötzlich schiebt sich der Fall Edda Herbst in seinen Kopf. Ein unangenehmes Gefühl drängt sich in den Vordergrund: was ist, wenn alle Fakten ermittelt sind und keine verwertbaren Ergebnisse auf dem Tisch liegen? Dann bleibt eigentlich nur noch die Fragestellung nach dem ›WARUM‹. Warum wurde Edda ermordet? Warum hat der Täter zugeschlagen?
    »Woran denkst du?«, fragt Anna.
    »Dass wir alle von Ursache und Wirkung abhängig sind.«
    »Sind wir das?«
    »Im Buddhismus ist das wie ein Lehrsatz. Man bezeichnet dieses Prinzip als Karma, als universelles Gesetz. Unsere heutige Erfahrung ist das Resultat unserer früheren Handlungen, die Zukunft folglich beeinflusst vom jetzigen Handeln. Alles ist Geist und hängt mit allen Taten zusammen.«
    »Du meinst, ich und du sind ein und derselbe Geist?«
    »Ja, davon bin ich überzeugt. Das ist mein Glaube. Ich bin Kommissar, aber ich bin auch gleichzeitig der Mörder, die Psychologin, der Restaurantbesitzer. Alle unsere Taten zusammen sind das Eine und Einzige, das Unendliche, Alleinige.«
    »Irgendwie krank, findest du nicht? So einen Menschen würde die Psychologie als eine ›Multiple Persönlichkeit‹ bezeichnen. Für mich hört sich das an, als wenn Gott der Besitzer einer Theaterbühne ist und wir spielen alle nur unsere Rolle auf den Brettern dieses Alleinigen“, erwidert Anna mit provokanter Stimme.
    »Das ist der Unterschied zwischen östlichem und westlichem Denken!«
    »Und warum sollte sich dieses Alleinige aufteilen und sich in dir und mir verwirklichen, ohne dass wir beide etwas davon wissen?«
    Swensen lehnt sich zurück und deutet auf die leeren Teller.
    »Weil es eben keinen Spaß macht allein zu essen!«
    »Klingt ziemlich durchgeknallt!«
    »Ist doch ein tolles Spiel. Das ›Eine‹ tut einfach so, als ob es nicht es selbst ist!«
    »Jan, du spinnst!«
    »Wieso? Hast du schon mal versucht gegen dich selbst Schach zu spielen?«
    »Das hat doch jeder schon mal probiert!«
    »Und wie war’s?«
    »Nicht gerade umwerfend! Ich wusste halt immer, was mein Gegner als nächsten Zug plante.«
    »Genau, deshalb braucht man zum

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