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Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen

Titel: Hätschelkind: Der erste Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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mehr so leicht wegzustecken wie früher, denkt er und merkt, dass sein Ärger auf Püchel immer noch da ist.
     
    Der hatte während der Sitzung aus heiterem Himmel festgestellt, dass die ›SOKO Watt‹ mit dem weiteren Mord ja eigentlich nichts zu tun hat. Außerdem sei Swensen mit dem ersten Mord bereits völlig überlastet.
    »Wäre es nicht besser, wenn wir uns jetzt Hilfe aus Flensburg kommen lassen?«
    Swensen verlor das erste Mal in seiner Dienstzeit die Fassung. Mit lauter Stimme hatte er Püchel direkt angegriffen, die Arbeit der Kollegen nicht grundlos herabzuwürdigen.
    »Die gesamte ›SOKO Watt‹ reißt sich hier den Arsch auf!«, donnerte er in die Runde. »Beim Mordfall im Storm-Haus werden das die Kollegen genauso kompromisslos machen. Uns mitten in den Ermittlungen einen Wildfremden aus Flensburg vor die Nase zu setzen, hat hier nun wirklich keiner verdient!«
    Im gleichen Moment war er über seine massive Reaktion erschrocken gewesen und hatte sich entschuldigt. Selbst im Nachhinein, wenn er mit Abstand darüber nachdenkt, kann er diese Entgleisung nicht begreifen. Der Ärger, der sich nicht legen will, passt einfach nicht in das Bild, was er von sich selber hat.
    Ja, der banale Alltag hat auf dem Weg eines Buddhas eben nichts verloren, denkt er.
     
    »Gibt es einen berechtigten Zorn?«, hatte er einmal seinen Meister Lama Rhinto Rinpoche gefragt.
    »Erzähle!«, sagte der nur und schloss die Augen.
    Swensen saß sprachlos vor ihm. Er zermarterte sich verbissen den Kopf, was der Meister wohl von ihm hören wollte, doch es fiel ihm beim besten Willen nichts ein.
    »Was siehst du?«, fragte der Lama nach langem Schweigen.
    Swensen schaute in sich hinein. Da tauchte eine verschwommene Horde von Menschen auf, die eingehakt über die Straße stürmte. Swensen war mitten unter ihnen. Vor ihm explodierte eine Gasgranate. Weißer Nebel quoll wie eine zischende Schlange daraus hervor. Im Hintergrund hörte man die Sirenen der Ambulanzen. Wie ein bedrohliches Insekt bog ein gepanzertes Polizeifahrzeug um die Hausecke. Wenige Momente später wurde Swensen von einem mächtigen Wasserstrahl nach hinten geschleudert. Gleichzeitig stürmte ein Trupp Polizisten von der Seite in seine Gruppe hinein. Schlagstöcke trafen mit dumpfem Geräusch auf Körper. Swensen lag am Boden. Er kroch auf allen Vieren weiter. Dann spürte er nur noch einen brennenden Schmerz in seinem Unterarm. Vor Nässe triefend rappelte er sich auf und flüchtete mit einer größeren Gruppe in die nächste Seitenstraße. Und dann passierte etwas Merkwürdiges. Ein einzelner Polizist stürmte mit erhobenem Schlagstock hinter ihnen her, während sein gesamter Trupp geradeaus weiter lief. Swensen konnte die entsetzten Augen des jungen Beamten sehen, als dieser bemerkte, dass er allein einer Überzahl von Demonstranten gegenüberstand. Er erstarrte. Aber auch keiner der Demonstranten bewegte sich. Dann schrie von hinten jemand: Enteignet Axel Springer. Sofort stimmte die ganze Gruppe lauthals in den Sprechgesang mit ein. Der jugendliche Beamte drehte sich um und rannte, als würde ihm der Teufel im Nacken sitzen. Ihm folgte ein dämonisches Gelächter. Diese entsetzen Augen des Polizisten hatten Swensen lange Zeit nicht mehr losgelassen. Der Mann schien annähernd in seinem Alter zu sein und er fragte sich damals oft: was unterscheidet uns denn überhaupt? Unter anderen Lebensumständen hätte er auch auf seiner Seite stehen können. Das war der Auslöser, sich für Buddhismus zu interessieren.
    Verstört schilderte Swensen Lama Rhinto Rinpoche die Bilder, die ihm da gerade gekommen waren. Der schaute ihn durchdringend an.
    »Was ist der Zorn, und was ist ein gerechter Zorn?«, fragte er und machte eine lange Pause. »Wie leicht lassen wir uns durch Begriffe verführen, die nur abstrakt sind und die uns zum abstrakten Denken und Fühlen verleiten. Es heißt, du sollst Mitleid gegenüber allen Wesen empfinden. Aber ist es nicht natürlich, Mitleid nur für das Opfer zu empfinden und Zorn gegen den Täter zu richten, dessen Tat wir verachten? Wie leicht reden wir davon, dass alle Wesen glücklich sein sollen. Aber ist uns das wirklich ein ernstes Anliegen, oder bleibt es in unserem Handeln nicht nur ein abstrakter Begriff, wie der, dass alle Wesen gleich geboren sind?«
     
    Swensen spürt eine Berührung an seiner Schulter und dreht sich zur Seite. Da steht Silvia Haman und schaut auf ihn herab.
    »Zieh dir diese Bemerkungen von Püchel bloß nicht

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