Hafenmord - ein Rügen-Krimi
dass er irgendwann wieder am Training teilnehmen würde.
Eine Stunde später verließ sie hellwach und frisch geduscht den Umkleideraum. Ihr Handy klingelte, als sie die Treppen des alten Fachwerkhauses hinuntereilte und gerade ihren Schlüssel aus der Tasche fischte.
»Bist du auf dem Weg?«, fragte Kasper.
»Ja, ich komme gerade aus dem E-Werk. Was Besonderes?«
»Gut möglich. Kannst du direkt hoch nach Glowe fahren?«
»Was wollen wir da?«, fragte Romy.
»Wart’s ab – wir treffen uns an der Hauptstraße, in circa zwanzig Minuten.«
Glowe war ein ehemaliges Fischerdorf im Nordosten der Insel zwischen Ostsee und Bodden. Romy, die kurz nachihrem Umzug Rügen durchstreift und sich stückchenweise der so schmerzvoll nachklingenden Erinnerung an die wunderbaren Tage mit Moritz gestellt hatte, sah vor ihrem inneren Auge die Schaabe aufsteigen, den kilometerlangen malerischen Strand mit langgestrecktem Waldgebiet hinter den Dünen, die Fischerhäuser, den Seglerhafen, wo Moritz ein Boot gemietet hatte, mit dem sie zum Königsstuhl gefahren waren, wie Tausende andere Touristen auch. Ihr Herz klopfte plötzlich ungestüm.
Er hatte sein lachendes Gesicht mit geschlossenen Augen und weiß blitzenden Zähnen in die Sonne gehalten, das Haar zerzaust, auf der Nase tummelten sich die Sommersprossen, und er roch nach Sonnenmilch und Salz, nach der betörenden Süße eines perfekten Sommers. Romy hatte sich gar nicht sattsehen können an ihm. Ihre Sehnsucht war groß und intensiv gewesen. Kaum zum Aushalten, hatte sie damals gedacht und den Gedanken im Nachhinein mehr als einmal verflucht.
Bei ihrem zweiten einsamen Besuch in Glowe war sie mit zittrigen Beinen zum Strand hinuntergegangen. Auf den Buhnen hatten Möwen gesessen und sich das Gefieder vom Wind glätten lassen. Es war ein klarer Tag gewesen, und sie konnte bis hoch zum Kap Arkona sehen. Eine halbe Stunde hatte sie es dort ausgehalten, dann war sie zurückgegangen. An einem Imbissstand hatte sie einen Döner gekauft, der erstaunlich gut geschmeckt hatte.
Kasper parkte bereits vor dem »Schaabe«-Restaurant und öffnete die Wagentür, als Romy auf der L 30 in den Ort fuhr und neben ihm hielt.
»Willst du mich zum Essen einladen?«, fragte sie, als sie den Helm abgesetzt und sich zu ihm heruntergebeugt hatte.
»Ein anderes Mal, aber dann koche ich selbst.« Er strich sich nachdenklich durch den Bart und stieg aus.
»Ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen«, meinte er unvermittelt. »Um sechs bin ich in die Dienststelle gefahren, weil ich keine Ruhe mehr hatte.«
Romy betrachtete ihn aufmerksam und schwieg. Zwischenfragen würden jetzt nur hinderlich sein.
»Ich hatte da was im Hinterkopf – einen Vermisstenfall, der bis heute unaufgeklärt ist – und habe mir vorhin die Akte rausgesucht.«
Auf Kaspers Gedächtnis war Verlass. Er erinnerte sich, wie Fine gern bestätigte, auch noch nach Jahren an scheinbar nebensächliche Einzelheiten, zumindest in besonderen Fällen.
»Die Frau wohnte in Rostock«, fuhr er fort. »Die Kollegen fragten auch bei uns nach, weil die Vermisste einige Wochen vor ihrem plötzlichen Verschwinden aus dem Rügen-Urlaub zurückgekehrt war. Das war im Spätsommer 2000.«
Kasper wandte sich um und bückte sich nach einem Ordner, der auf dem Beifahrersitz lag. »Beate Lauber, achtundzwanzig, Anwaltsgehilfin. Sie hat damals hier nicht nur Ferien gemacht, sondern auch ihren Großvater besucht, Heinrich Lauber, einen alteingesessenen Rüganer. Der Mann verlor völlig die Nerven, als wir bei ihm auftauchten, und hat uns quasi rausgeschmissen.«
»Verständlich.«
»Ja, schon. Aber dabei ging es nicht allein um das Verschwinden der Enkelin. Ein damaliger älterer Kollege erzählte mir mehr zu der Familiengeschichte.«
Romy wartete ab.
»Sagt dir die Bezeichnung ›Aktion Rose‹ etwas?«
Romy runzelte die Stirn. »Hilf mir auf die Sprünge.«
»Rügen zur DDR-Zeit. Walter Ulbricht hat bei einem Besuch festgestellt, dass sich viele Hotels und Pensionen in Privatbesitz befanden – zu seinem großen Ärger«, erzählte Kasper und machte eine wegwerfende Handbewegung.»Wurde jedenfalls so berichtet. Passte nicht in die SED-Plan wirtschaft , falls dir das überhaupt noch was sagt.«
»So jung bin ich nun auch wieder nicht, und zur Schule bin ich auch gegangen …«
»Umso besser. Jedenfalls war der große Genosse der Meinung, dass hier dringender Handlungsbedarf bestand, was im Übrigen recht gut zu dem Vorhaben passte, im
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