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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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Friedhof. Das Grab umstanden
zahlreiche Neugierige, besonders Frauen. Ein Posaunenchor leitete den
Trauerakt ein und beschloß ihn. Pfarrer Battenberg rief nach seiner Tröstung
der Angehörigen Gott an: »Nimm Dich auch an des verruchten und in seiner Sünde
doch so beklagenswerten Mörders, und hilf Du selbst, daß nicht durch
ungesühnte Schuld die Heiligkeit der sittlichen Weltordnung verletzt werde!«
Tief ergriffen war die Menge, als der Grabredner erzählte, daß die Mordtat am
Tage der zwanzigsten Wiederkehr des Verlobungstags Lichtensteins geschah. Rote
Nelken habe er seiner Gattin am Morgen geschenkt - rote Blutstropfen habe sie
am Mittag erschauen müssen. Darnach sprach der Prediger von der stetigen
Hilfsbereitschaft, der selbstlosen Berufstätigkeit und dem glücklichen
Familienleben des Verstorbenen.
    Kränze
wurden im Auftrag des Verbands deutscher Klavierhändler, von der Obertertia
des Goethegymnasiums, vom Paulschor und von seinem Diener, dem Auslaufer
Schick, niedergelegt. Außerdem deckten zahlreiche Blumen- und Palmenspenden
von Freunden und Bekannten das Grab.
     
    D as Spiel der Posaunen verklang. Die Sonne spiegelte sich in   den   Instrumenten,   eine Amsel   sang.    Lichtensteins Witwe sah zerbrechlich aus, starr waren die Mienen ihrer
Kinder. Anton Schick weinte. Die Trauergemeinde formte sich zu einer Schlange
der Kondolenz. Händeschütteln, Flüstern, Nicken; Fassungslosigkeit, die um
Worte rang. Stumm drückte Victoria Lichtensteins Frau die Hand. Hinter ihrem
schwarzen Schleier sah sie Tränen. Ihr Hals war wie zugeschnürt, als sie zum
Ausgang ging.
    »Ich
fahre nicht mit«, sagte sie zu ihrem Vater, der mit David am Wagen wartete.
    »Was
soll das heißen?« fragte Rudolf Könitz.
    »Daß ich
eine Droschke nehme und später komme.«
    »Du
hast ja nicht mal ein Mädchen dabei!«
    »Vater,
bitte«, schaltete sich David ein. »Victoria ist alt genug, selbst zu
entscheiden, was sie tut.«
    Bevor
Rudolf Könitz etwas erwidern konnte, drehte sich Victoria um und ging. Durch
einen Seiteneingang kehrte sie auf den Friedhof zurück. Schattenmuster kahler
Bäume kreuzten ihren Weg, am Fuß der efeubewachsenen Mauer glänzte der letzte
Tau. Auf den Gräbern hatte die Sonne gelbe und weiße Krokusse ihre Blüten
öffnen lassen. Nachdenklich betrachtete Victoria die Inschriften: Sophia und
Konrad Könitz. Eduard Könitz. Clara Könitz. Henriette Könitz. Sie war lange
nicht hiergewesen.
    »Frommts,
den Schleier aufzuheben, wo das nahe Schrecknis droht? Nur der Irrtum ist das
Leben, und das Wissen ist der Tod.«
    Victoria
fuhr herum. »Was tun Sie denn hier?«
    »Ein
bißchen Schiller zitieren«, sagte Karl Hopf lächelnd. »Ich war auf
Lichtensteins Beerdigung, aber Sie zogen es vor, mich nicht zu sehen.«
    »Entschuldigen
Sie. Ich war
    »...
mit den Gedanken woanders.« Er trat neben sie. »Ihre Familie?«
    Victoria
nickte. »Meine Tante, mein Onkel, mein Cousin. Meine älteste Schwester Clara.
Und meine Mutter.«
    »Gräfin
von Tennitz erwähnte, daß Ihre Mutter vor einem Jahr starb und Ihre Schwester
vorletztes Weihnachten. Und daß beide sehr krank waren und Sie sie gepflegt
haben.« Er zeigte auf die Gräber von Sophia und Eduard. »Aber sie hat mir nicht
erzählt, warum Ihre Tante und Ihr Cousin innerhalb von nur drei Tagen starben.«
    »Das
ist sehr lange her.«
    »Verraten
Sie es mir trotzdem?«
    »Warum
haben Sie mir diesen Artikel gegeben?«
    »Bitte?«
    »Ihr
vorgebliches Rätsel und die Zeitungsmeldung über den Unfall bei Pokorny &
Wittekind: Das war doch kein Zufall!«
    Er
lächelte. »Sondern?«
    »Sie
haben aus irgendeinem Grund Interesse an dem Fall und hofften, ich würde meinen
Mann darüber ausfragen.«
    »Meine
Gratulation zu Ihrer vortrefflichen Deduktion. Das ist die Antwort, die ich
befürchtet hatte.«
    Victoria
sah ihn wütend an. »Wissen Sie, was ich außerdem glaube? Daß Sie mich für Ihre
Zwecke mißbrauchen, Herr Hopf. Daß Sie ein falsches Spiel mit mir spielen!«
    »Das
ganze Leben ist ein falsches Spiel. Und Tote sollte man ruhen lassen.«
    »Das
ist nicht das Problem.«
    »Ein
einzelnes Kraut ist nie ein Problem. Wohl aber der Samen, den es streut. Ich
freue mich auf Ihren Besuch morgen.«
    Er
ging, ohne ihre Erwiderung abzuwarten.
    Richard
sah Martin Heynel fassungslos an. »Wollen Sie damit andeuten, daß diese
Zilly...?«
    »...
die heimliche Chefin der Laterna Magica ist und sich bei Bedarf Signora
Runa nennt.«
    »Warum
steht kein Wort davon in den

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