Hale 2 Freibeuter des Herzens
das Leben kosten würde.
»Du fragst dich wohl, was deine geliebte Lady heute macht, Pirat? « Hinton grinste ihn an, während er an der Kette riß, die ihn mit O'Reilly verband. »Macht gerade Hochzeitsreise mit irgend so einem feinen Lord, stimmt's? Ich wette, sie liegen gerade zusammen in einem warmen, gemütlichen Bett... Sind sie nicht mit der Tamarind ausgelaufen, am selben Tag, an dem auch wir unsere kleine Reise angetreten haben? Vielleicht treffen wir sie ja, dann kannst du ihr winken. «
Er lachte. Jons Muskeln spannten sich an und O'Reilly warf ihm einen warnenden Blick zu. Wenn Jon Ärger machte, würden sie keinen Augenblick zögern, und ihn wie einen räudigen Hund abknallen.
»Anketten! «
Der Befehl ertönte vom Achterdeck. Jons Muskeln entspannten sich langsam wieder, als Hinton eine lange Kette durch seine und O'Reillys Handeisen zog, bevor er sie dem nächsten Wärter zuwarf, der dasselbe mit den nächsten Gefangenen machte. Auf diese Weise wurden fünfzig bis sechzig Mann zusammengekettet, und die Kette anschließend an einem eisernen Ring befestigt, der im Boden eingelassen war. Damit sollte verhindert werden, daß es zu einer Meuterei kam, oder daß jemand über Bord sprang. Bisher hatte es diesen Zweck problemlos erfüllt.
»Springen! «
Der Befehl kam wie jeden Morgen. Unter Schmerzen begannen die Gefangenen auf und ab zu springen und mit den Armen zu schwingen. Diese Übung, die etwa fünf Minuten andauerte, sollte dafür sorgen, daß die Männer arbeitsfähig waren, wenn sie ihr Reiseziel erreicht hatten. Denn es war Arbeit, die sie erwartete. Es gab zahllose Fabriken an Afrikas Westküste, Fabriken, die England mit zahlreichen Gütern versorgten und mit Sklavenarbeit betrieben wurden. Sobald die Cristobel die Elfenbeinküste erreicht hatte, würden die Gefangenen an die Fabriken versteigert werden. Der erzielte Profit kam den Schatzkammern Englands zugute - abzüglich einer dicken Prämie für die Crew. Auf diese Weise waren alle glücklich - außer den Gefangenen, natürlich.
Nachdem die Freiübungen beendet waren, scharten sich die Männer um das halbe Dutzend schwarzer Kessel, in denen die Tagesrationen für die Gefangenen gekocht wurden. Hungrig aßen sie mit bloßen Händen den wäßrigen Eintopf so schnell sie konnten, bis nichts mehr übrig war.
»Unter Deck mit ihnen! «
Jon war noch am Essen, als der Befehl ertönte, Hastig schnappte er sich noch eine Handvoll und leckte sich die Finger ab. Er konnte gerade noch seine Wasserration trinken, bevor Hinton und ein weiterer Mann vor ihm standen. Dieser zweite Mann beugte sich nach unten, um die Kette von dem Eisenring zu lösen, während Hinton um Jon herumlief und ihm von
hinten schmerzhaft die Muskete in den Rücken bohrte, damit er vorwärts ging. Jon und die anderen Gefangenen begannen, gehorsam zur Luke zurückzulaufen. Plötzlich ertönte ein heiserer Schrei: Sofort reckten alle an Deck die Hälse, um zu sehen, was vor sich ging. Neben der geöffneten Luke kämpften zwei Gefangene miteinander. Vier Wachen rannten hinüber, um sie zu trennen und begannen, mit ihren Musketen auf sie einzuschlagen. Über seine Schulter hinweg konnte Jon den faulen Atem Hintons riechen, als dieser näher trat, um den Spaß nicht zu verpassen. Wieder bohrte sich seine Muskete schmerzhaft in Jons Rücken. Instinktiv, ohne zu denken, legte Jon seine beiden Fäuste aneinander, so daß die Kette dazwischen herunterbaumelte. Dann, mit einer blitzartigen Bewegung, fuhr er herum und ließ die Kette gegen Hintons Schädel fliegen. Ohne ein Geräusch sackte der Mann in sich zusammen. Jon sah sich hastig um: Nur O'Reillys geweitete Augen schienen den Vorfall beobachtet zu haben. Zu seiner Erleichterung waren alle anderen viel zu sehr damit beschäftigt, was an der Luke vor sich ging, um etwas mitbekommen zu haben. Blitzschnell bückte er sich und riß Hintons Schlüsselbund von dessen Gürtel. Vorsichtig darauf bedacht, nicht gesehen zu werden, löste er seine Eisen und die Kette, die ihn an O'Reilly fesselte. Dann gab er den Schlüssel weiter an O'Reilly, der eilig seine eigenen Eisen aufschloß und ihn dann weiterreichte. In der Zwischenzeit schnappte sich Jon die Muskete des bewußtlosen Mannes und bewegte sich schnell und unauffällig auf die Treppe zum Achterdeck zu. Kaum war er oben angelangt und hatte die Muskete angelegt, hörte er hinter sich lautes Gebrüll, übertönt von dem Schrei: »Meuterei! «
»Bitte keine Tapferkeitsausbrüche,
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