Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
Quälgeist! Ich will mir auch mal mein eigenes Tempo vorgeben.«
»Nun, wir sollten ungefähr in einer halben Stunde wieder aufeinandertreffen«, entgegnet Francesco nachdenklich und betrachtet noch einmal eingehend die Loipenkarte. »Wenn es dir wirklich nichts ausmacht und ich dir dabei noch dazu einen Gefallen tue, dann ...«
»Zisch schon ab!«, ermahne ich ihn. »Und bitte vergiss in unserer Trennungsphase nicht, dass du nicht allein hier bist, sondern dass du in Begleitung angereist bist!«
»Ich hoffe, ich merke mir deine Worte, sonst wird mich Vinzenz sicherlich auf dein Verschwinden aufmerksam machen«, frotzelt er mir nach und danach ist er auch schon zur linken Seite hin verschwunden.
Nun gut, jetzt kann ich ganz relaxt Langlaufen und die Natur genießen, die mich bald darauf in ein romantisches Waldstück führt (ich wünschte jetzt doch, dass Francesco mich begleitet hätte). Während ich elegant am schimmernden Firn dahingleite und an meinem eigensinnigen Langlaufstil feilsche, bemerke ich die fortwährende Steigung überhaupt nicht. Nun, was soll ich sagen! Nach einem Kilometer blicke ich fassungslos nach unten. Das blanke Entsetzen spiegelt sich bei diesem horrenden Fernblick in meinem Gesicht wider. Die vermaledeite Böschung wirkt nebenan bemerkt wie ein riesiger Schlund. Ich stehe auf der hellen Kuppel und unter mir tut sich ein dunkler, ungewisser und alles verschlingender Flecken auf. Der lichtdurchlässige und freundliche Mischwald geht hier in einen dichten Tannenwald über und die Grenzen zwischen Gut und Böse, hell und dunkel, fallen oder nicht fallen, sich sämtliche Knochen brechen oder alles heil überstehen, liegen exakt in der Mitte des verflixten Abhangs. Aber das eigentlich Schlimme daran ist, dass die Loipe gleich nach der rasanten Abfahrt in eine rechts gezogene Kurve führt. Entweder ich wähle die Sicherheitsvariante und ich befreie mich hier und jetzt von den Skiern und stapfe den Hang hinunter, oder aber ich wähle das Risiko und probiere es mit meiner bewährten Stocktechnik und taste mich dabei langsam das Gefälle hinab.
Nur Mut, nur Mut! Ich tu’s, ich tu’s! Ich ramme meine Stöcke energisch in den Boden und will mein Gewicht gerade ein wenig nach vorn versetzen, als hinter mir irgendetwas herbeihechelt. O ... ein Verbrecher treibt hier also sein Unwesen! Möglicherweise ein Exhibitionist?
»Nein! Garfield! Nicht!«, höre ich noch jemanden rufen, als mir von rückwärts schon eine ungeheure Kraft auf den Hintern knallt und mich angrenzend unaufhaltsam nach vorn schiebt.
Ojemine ... und ab geht’s mit mir! Wie war das noch mal? Locker am Ski stehen, gleiten, in die Knie gehen ... o Shit, Zweiglein in der Spur bremst meinen gigantischen Vorwärtsdrall rapide ab und ich falle wie ein nasser Zementsack in den seitlichen Tiefschnee.
Eine rasche Analyse der vorherrschenden Lage: Meine Beine und Arme sind verkeilt, in meinem Nacken sammelt sich der eiskalte Schnee und verpufft in Wasser, meine Sonnenbrille ist, wie mein restliches Gesicht, Schnee überzogen (tja, mir ist scheinbar ein grandioser Köpfler gelungen). Im Hintergrund tut sich eine Stimme auf.
O ... ich habe den vermeintlichen Räuber der Unschuld vollkommen vergessen! Ich muss mich augenblicklich auf einen Nahkampf gefasst machen.
»Böser, böser Garfield!«, verlautbart eine männliche Stimme ganz in meiner Nähe. »Sind Sie verletzt? Böser, Garfield!«
Irgendetwas Harsches befreit mein Gesicht augenblicklich vom Schnee. Ja hat denn dieser Mensch (Retter oder Verbrecher?) etwa Bimsstein auf den Händen? Nein, nein, so geht das nicht! Ich muss mich wohl selbst am Schopf packen und mich eigenhändig aus dem Sumpf des Tiefschnees ziehen. Mein Vorsatz wäre auch annähernd gut, wenn meine Hände nicht in den Halteschlaufen der Stöcke feststecken würden und wenn diese andererseits nicht von einem meiner Skier zu Boden gedrückt werden würde. Verzwickte Situation.
»Sind Sie verletzt?«
»Nein, ich glaube nicht«, stottere ich hervor.
(Ein Gewaltverbrecher würde mich doch so etwas bestimmt nicht fragen, oder?)
»Aus jetzt Garfield! Warten Sie, ich helfe Ihnen hoch!«
Mit einem kräftigen Ruck ist mein Oberkörper wieder in der Senkrechten, meine Stöcke sind aus der Gefangenschaft befreit und meine Beine werden auch gerade erlöst.
»Vielen Dank! Ich weiß nicht, was gerade ...«, stammle ich leicht irritiert hervor.
Ich muss wohl erst meine Fassung wiedererlangen (immerhin war ich dem
Weitere Kostenlose Bücher