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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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müssen davon wissen. Tut er ihnen Leid, oder halten sie ihn für bescheuert?
    «Bescheuert», sagt Brooks probeweise, während er an der Highschool vorbeifährt. Nein, denkt er, beides. Er sucht nach Tims rotem Jeep, lässt den Blick über die Schlange schweifen, die aus der Einfahrt kommt. Wahrscheinlich schon weg. Mal im Stop’n’Shop nach ihm sehen.
    Zum Heim ist es nicht mehr weit, bloß noch an der Baptistenkirche mit dem neuen Seitenschiff vorbei. Wenn er im 2. Distrikt Streife führe, käme er nachts zehnmal dran vorbei –, das wäre des Guten zu viel, denn er hat schon ein schlechtes Gewissen, weil er Gram nur alle paar Wochen besucht. Das ist alles, was er fertig bringt. Beim letzten Mal hat sie ihn nicht erkannt. Jetzt wünscht er sich, er hätte Blumen für ihr Zimmer dabei, was Aufmunterndes, auch wenn sie sie nicht sehen kann.
    Golden Horizons of Avon. Da sind das geschnitzte Schild und die Flagge vor dem Eingang, als wäre es ein Country Club. Auf dem Schild steht, dass es ein Gesundheitsfürsorgezentrum und kein Pflegeheim ist. Ein niedriges Gebäude, roter Backstein mit weißen Säulen, ein Motel im Kolonialstil. Der Rasen ist gepflegt wie bei einem Baseballfeld, kunstvoll geschnittene Büsche und ein das Gebäude eng umschließender Parkplatz, günstig gelegene Hydranten. Die Wagen bei den Müllcontainern drüben sind sportlich, gehören offenbar dem Personal: ein Firebird, ein Eclipse, ein hinten höher gelegter Ford Pick-up. Brooks parkt naham Eingang, damit er nicht klitschnass wird, stürzt einen Schluck Kaffee runter, um in Schwung zu kommen, und trottet dann über den Parkplatz. Bevor er die Eingangstür aufmacht, holt er aus Gewohnheit ein letztes Mal tief Luft.
    Die Eingangshalle ist für den Feiertag geschmückt, als würde das hier irgendjemanden interessieren. Weder der Fäulnisgeruch noch die plötzliche erstickende Hitze stören Brooks, sondern die Stille und das blasse Neonlicht. Die Flure sind lang und schmal, und der Teppichboden dämpft jeden Schritt. An einer Wand wartet ein Laufstuhl mit Bremsen wie bei einem Mountainbike auf seinen Besitzer. Die meisten Türen sind geschlossen, doch im Vorbeigehen dringt das Gemurmel einer Seifenoper in gespenstischem Stereo an sein Ohr. Und keinerlei Sicherheitsbeamte – Brooks ist bis zum Empfang vorgedrungen, bevor ihn jemand entdeckt, und diese Frau lächelt bloß, als hätte sie ihn schon mal gesehen. Brooks lächelt zurück, seine Waffe drückt auf die Rippen. Er findet, sie sollten zumindest einen Metalldetektor haben; das hier ist kein guter Ort für jemanden, der Zugang zu Schusswaffen hat.
    (Sieh mal an, sagt Toe.)
    Ihr Name steht an der Tür, wie im Kindergarten mit schwarzem Leuchtstift auf ein Stück Pappe geschrieben. Für den Fall, dass das nicht ausreichen sollte, hängt ein Beanie-Baby-Hummer kopfüber unter der Zimmernummer, um ihrem Gedächtnis nachzuhelfen – ein Trick, den man normalerweise bei Kindern anwendet. Brooks klopft und stößt dann die Tür auf, denn sie kriegt nichts mit, wenn sie sich ihre Kassetten anhört.
    Er hat seinen Besuch nicht angekündigt, sodass sie keine Zeit hatten, sie zurechtzumachen, und als er sie mit übergestülptem Kopfhörer schlafend in ihrem Sessel vorfindet, der Kassettenrecorder vor sich hin plappernd, sucht er im Zimmer nach irgendwelchen Anzeichen von Vernachlässigung. Das Bett ist gemacht, ihr Radio auf dem Nachttisch, ihre Pillendose auf dem Walnussschränkchen aus dem alten Haus – fehl am Platz wie ihreKommode und die Fünfziger-Jahre-Fotos von seiner Mutter und seinen noch jungen Onkeln (alle tot), die er schon seit seiner Kindheit kennt. Alles ist sauber und ordentlich, das Licht an, die Vorhänge offen, mit Blick auf das Vogelhäuschen und den gepflegten Rasen hinterm Haus, und doch findet er es falsch, dass von einer Welt, die er als prächtig und geheimnisvoll in Erinnerung hat, nur das hier übrig geblieben ist. In Gedanken kann er jene Zimmer nochmal betreten, kann die handbemalten Teller betrachten, von denen sie aßen, Grams Gemüsegarten, den sie gegen Kaninchen und Murmeltiere verteidigte, den muffigen Keller, wo Grandad die Titelseiten der
Saturday Evening Post
an die Wand heftete. Seine Geschichte. Er ist der Letzte, der sich noch dran erinnern kann.
    Sie hat die Lippen gespitzt, ihr Gesicht ein Netz aus Falten, abgesehen von dunklem Schorf auf der Stirn, wo sie vor ein paar Monaten gestürzt ist, immer noch nicht verheilt. Sie schnarcht, ein leichtes Kratzen in

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