Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
Nachthimmel funkelten und ihm
signalisierten, dass an seinem Tresen in wenigen Augenblicken die Hölle los
sein würde. Die Bar des Meridian Club war nicht nur sein persönlicher Lebensmittelpunkt,
sondern auch der Mittelpunkt der Clubanlage. Sie befand sich auf einer
überdachten Empore zwischen Pool, Restaurant und Showrondell, so dass Miran von
seinem Platz aus die gesamte Anlage und das Treiben der Gäste im Blick hatte. Sein
geschultes Auge sagte ihm sofort, wer mit wem anbändeln würde, wer nur an Sport-
und Wellnessprogramm interessiert und welches Paar gekommen war, um seine
Beziehung oder Ehe zu retten. Für solche Paare fühlte er jedes Mal grenzenloses
Mitleid, er konnte nicht anders und wusste nicht woher dies kam. Vorsichtig,
beinahe devot, stellte er in solchen Fällen ihre Pina Colada und seinen
doppelten Whisky auf den Tresen und beobachtete mit angehaltenem Atem, wie die
Frau vorsichtig an ihrem Strohhalm sog als nippe sie an Gift und dabei tangential
an ihrem Mann vorbeischielte, zwischen den Palmen und Liegestühlen vorbei,
hinaus aufs offene Meer, als ob sie sich mit allen Fasern ihres Seins danach
sehnte, sich von einem mächtigen Brecher erwischen zu lassen und frei durch das
Wasser zu kegeln. Ein Knoten verengte sich in diesen Momenten in Mirans Brust,
wenn er dann vorsichtig, ein Glas wieder und wieder polierend und gegen das
Licht haltend, nach dem Mann sah und erkannte, dass dieser seiner Frau nicht
einen Blick gönnte sondern angelegentlich damit beschäftigt war, Pistazien zu
knacken und die jungen Mädchen im Pool beobachtete, die sich kreischend um eine
Luftmatratze stritten.
Genau
so ein Mann war Kai-Uwe Volkmann, der soeben versonnen mit dem Finger an seinem
kühlen Bierglas entlangstrich und ernsthaft über Mirans Familiennamen
nachzudenken schien. Bei den Angestellten hatte er sich bereits nach wenigen
Tagen schwer beliebt gemacht, denn er gab großzügig Trinkgeld, obgleich er all
inclusive gebucht hatte. Er behandelte das deutsche und türkische Personal
mit der gleichen Freundlichkeit, behielt ihre Namen ohne auf das Schild sehen
zu müssen. Wenn er den alten Gärtner Ali sah, der sich mit einem schweren
Rasenmäher abmühte, sprang er von seinem Liegestuhl am Pool auf und trabte
barfuß über die kochend heißen Steinplatten um ihm zur Hand zu gehen. Obwohl
Ali kein Wort Deutsch sprach, führte er den Gast durch die Anlage, deutete auf
hellen Oleander, zierliche Zwergpalmen und wuchernde Hibiskusblüten, erklärte,
dass die Schwalben, die aussahen als spielten sie miteinander, in Wahrheit nach
Mücken jagten, die sich im Gras tummelten. Der Deutsche schleppte den
Rasenmäher hinter sich her und lauschte interessiert, verstand intuitiv nahezu
alles, was Ali im erzählte und sprach ehrfürchtig türkische Worte nach, die ihm
gefielen und auf seiner Zunge schmolzen wie Eis. Frau Volkmann hatte Miran
bislang nur zwei- oder dreimal gesehen und hätte sie am ersten Abend nicht
steif neben ihrem Mann auf einem der Barhocker gesessen, hätte er gar nicht
gewusst, dass Volkmann in Begleitung hier war. Sie war eine große, hagere Frau
mit einem asymmetrischen, kantigen Haarschnitt, den Miran das letzte Mal vor
über zwanzig Jahren gesehen hatte. Sie schaute Miran nicht an, als sie ihre
Bestellung aufgab und bedankte sich nicht, als er das Weißweinglas vor sie
hinstellte, sondern schlang sofort ihre langen Finger um das Glas und drückte
zu als wolle sie es zum Bersten bringen. Miran betrachtete ihre Knöchel, die
merkwürdig stark ausgeprägt waren, so als säßen kleine Bälle unter der ledrigen
Haut, und fasste eine innige Abneigung zu ihr und tiefe Zuneigung zu Kai-Uwe
Volkmann, der sich hastig für seine Frau bedankte und entschuldigend mit den
Lidern zwinkerte. Frau Volkmann drehte sich auf ihrem Barstuhl hin und her und
ließ ihren Blick über die Menge schweifen, die in Grüppchen beisammen stand,
lachte und durcheinander lärmte. Gleich würde Olli Reinecke im weißen Anzug
herbeigeschlendert kommen, sich ans Mischpult stellen und die Disconacht eröffnen,
die jeden Abend vor Mirans Bar auf der Empore unter freiem Himmel stattfand.
Miran rannte mit seinen zwei Kollegen in eingespielter Choreografie hinter dem
Tresen hin und her, freute sich an jedem Cocktail, den er perfekt inszeniert
aus dem Shaker goss und garnierte, strahlte, wenn sich der Gast vor Entzücken
über seine Kreation die Hand auf die Brust legte und ehrfürchtig auf die
anmutig geschnittene Litschiblüte starrte.
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