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Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall

Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall

Titel: Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu , Asmin Deniz
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Das Nächste, was er von Frau
Volkmann sah, als er einen Augenblick verschnaufen konnte und sich eine Zigarette
ansteckte, war ihre Gestalt auf der Tanzfläche. Sie trug ein eng anliegendes
kurzes Paillettenkleid und hochhackige Schuhe, in denen sie sich nicht bewegen
konnte, und so stand sie auf einem Fleck und ruckte ihren Oberkörper vor und
zurück, ruderte mit den Armen und stieß mit den Ellenbogen nach andern Tänzern,
die sich in ihre Nähe wagten.
    Miran
gönnte sich eine kurze Pause und beobachtete sie. Für einen Moment verschwand
die Bar um ihn herum, und er dachte an das kleine Steinhaus seiner Großmutter,
weit entfernt in den Bergen Kappadokiens. Sie besaß einige Schafe und eine
Handvoll Hühner, denen sie die Eier stets mit einer kleinen gemurmelten Entschuldigung
aus dem Nest nahm. Eines Tages war eines der Hühner erkrankt, es flatterte wild
hinter dem Haus hin und her, blieb plötzlich geduckt stehen und fixierte mit ruckendem
Kopf den kleinen Miran, der zusammen mit seiner Großmutter hakenschlagend hinter
dem Vogel herrannte um ihn einzufangen. Mit verstörtem Blick setzte das Huhn
zum Sprung an, raste zwischen Mirans Beinen hindurch und flatterte gackernd auf
ein Plateau zu, das nach einigen hundert Metern schroff endete und die obere
Kante einer breiten, felsigen Schlucht bildete. Es war Miran von seiner
Großmutter strengstens verboten sich dem Ende des Plateaus zu nähern, die
Felsen waren brüchig und bei jedem Unwetter stürzten Erde und Gesteinsmassen in
die Schlucht. Natürlich hatte er sich dennoch eines Tages aufgemacht. Wie ein
Trapper robbte er auf dem Bauch bis zum Abgrund und schielte hinunter, konnte
den Grund jedoch nicht erkennen, denn bis zur Talsohle drang kein Licht. Auf
der anderen Seite der Schlucht lag auf einem Felsvorsprung der Kadaver eines
Tieres, und Miran zog sich vorsichtig und schwer atmend zurück. Und nun raste
das beste Huhn, dass Großmutter je gehabt hatte auf den Abgrund zu! Miran
stolperte und hastete hinterher und tatsächlich bekam er es nach einem kühnen
Hechtsprung kurz bevor es hinab gestürzt wäre, zu fassen. Seine Großmutter
knotete einen festen Bindfaden um die Beine des Huhns und um einen Pflock, so
dass es aussah wie ein angeketteter Hütehund. Diesen Freiheitsentzug nicht
gewohnt und von seiner unidentifizierten Krankheit getrieben, ruckte das Huhn
seinen scharfen Schnabel nach vorn und zurück, drehte sich einbeinig im Kreis,
erstarrte, ruckte erneut, vibrierte und verfiel in Totenstarre. Dies ging eine
ganze Weile so, in jedem Falle so lange wie Mirans Großmutter brauchte, um
ihrem Enkel den Hintern zu versohlen, da sie außer sich vor Angst geraten war,
als er hinter dem wilden Huhn das Plateau hinaufgestürmt war.
    An
dieses Huhn und sein schmerzendes Hinterteil musste Miran denken, als er Frau
Volkmann tanzen sah. Sein Blick fiel auf Herrn Volkmann, dessen gepeinigte
Gesichtszüge ein Spiegelbild von Mirans Empfindungen waren, so als durchzögen
ihn ähnliche Kindheitserinnerungen von zuckenden Hühnern. Seitdem hatte Miran
Frau Volkmann nur noch einmal bewusst wahrgenommen, als er sich, auf seiner
Schulter ein schweres Tablett mit Kaffeebechern und Wasserkaraffen, zwischen
den Liegen am Pool hindurchschlängelte und an ihrem Platz vorbeikam, an dem
sich das Ehepaar Volkmann eingerichtet hatte. Eine Wolke verdunkelte für einen
kurzen Augenblick die stechend heiße Sonne. Frau Volkmanns Arm fuhr blitzschnell
hervor und ihre Fingernägel krallten sich in den blanken Bauch ihres Mannes,
der erschrocken zusammenzuckte und Teile seiner Zeitung fallenließ. »Ich habe
Sonne bestellt! Und was ist dies da oben? Genau! Keine Sonne. Da hätten wir a
gleich zu Hause bleiben können! Und was ist wiederum das hier?« Frau Volkmann
schob ihre Sonnenbrille in die Stirn und starrte den Bauch ihres Mannes an, in
dessen Falten sich ihre Fingernägel eingegraben hatten. »Hattest du mir nicht
versprochen, hier ein wenig Sport zu treiben? Du wirst immer qualliger, ein
Bauch so prall wie ein bayrisches Daunenkissen!« Mit Verwunderung hatte Miran
ihre Stimme registriert, eine warme, rauchige Stimme, wie gemacht um hundert
Zärtlichkeiten zu flüstern und so gar nicht passend zu dem scharfen Inhalt
ihrer Worte.
    »Ich
hoffe, ich gehe Ihnen nicht auf die Nerven mit meinem Gerede?«
    Miran
blickte zur Seite und sah in Herrn Volkmanns zerknirschtes Gesicht, das im
orangefarbenen Licht noch weicher und anfälliger für die Gemeinheiten der Welt
wirkte. Der arme

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