Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
Mann, dachte Miran, er fühlte sich wohl immer für alles
verantwortlich, selbst für die Stimmung eines Barkeepers, der doch traditionell
und von Berufs wegen dem Lamento seiner Kunden mit Interesse lauschen musste.
»Aber
Herr Volkmann! Ich habe Sie gerne hier! Es ist sehr einsam hier zwischen
Nachmittagskuchen und Abendessen, nur ein paar wenige Gäste nehmen Aperitifs,
leider verschwindet diese wundervolle Tradition. Und so freue ich mich jeden
Tag, wenn ich denke Ahh, mein Freund Volkmann kommt gleich um die Ecke und
wir verbringen beide diese ruhige Stunde des Tages mit angenehmen Gesprächen! Sie
passen hier prächtig ins Land, Herr Volkmann, Ihnen würde es in unseren Cafés
bestens gefallen – Sie hätten dort Ihre Freunde, die Sie jeden Tag treffen, Sie
könnten reden, Karten spielen, fernsehen, lesen, ganz wozu Sie Lust haben.«
»Oh,
meinen Sie wirklich, dass ich einen guten Türken abgeben würde?« Kai-Uwe
Volkmann strahlte über das ganze Gesicht und seine Stimme belebte sich. »Ja,
mir würde es hier auch gut gefallen, nur leider sehe ich so wenig vom Land,
meine Frau, die Gisa, also, die möchte keine Touren mitmachen, sie sagt, sie
verlässt Deutschland nicht … also, damit meint sie hier die Clubanlage, das ist
so ein Witz hier unter den Gästen, hier ist Deutschland und draußen die Türkei
und wenn man sich die Türkei ansehen will, dann reicht eine Tour nach Berlin
Neukölln.«
Volkmann
machte eine wegwerfende Handbewegung, um seine Distanz zu den ignoranten
Touristen und ihren unzivilisierten und beleidigenden Witzen zu unterstreichen
und blinzelte Miran entschuldigend von unten an.
»Ja,
den running gag kenne ich, Herr Volkmann.«, nickte Miran und lächelte.
Selbst für diesen dummen Witz, der seit Jahren im Club kursierte, fühlte sich
Volkmann verantwortlich.
»Könnten
Sie mich nicht … äh .« Hastig nahm Herr Volkmann einen Schluck Bier und wischte
sich die Lippen mit dem Handrücken ab. »Könnten Sie mich nicht Kai-Uwe nennen?
Sie würden mir einen großen Gefallen damit tun, ich meine, naja, ich hab
gehört, dass Sie die jüngeren Gäste auch beim Vornamen nennen. Nun, kurz und
gut, ich würde mich weniger alt fühlen, ich weiß, es ist dumm, schließlich bin
ich in den besten Jahren.«
»Aber
gerne! Was immer Sie wünschen! Kai-Uwe!«
Miran
streckte Volkmann die Hand hin und hoffte, dass nicht eben in diesem Moment
Olli Reinecke vorbeimarschieren würde. Der Chef hatte ein Talent für den falschen
Moment und er duldete, wie er sagte, keine Annäherung, keine Fraternisierung
zwischen Personal und Gästen.
Begeistert
griff Kai-Uwe Volkmann nach der ausgestreckten Hand und hielt sich daran fest
wie ein Ertrinkender, bis Miran sich räusperte und mit dem Kinn auf eine junge
Frau deutete, die soeben auf der anderen Seite an den Tresen getreten war. Er
ließ Mirans Hand los, seufzte zufrieden und betrachtete sein perlendes Bier.
Nun hatte er einen weiteren Freund hier, und dies entschädigte ihn für den
Moment für den verlorenen Tag, der hinter ihm lag. Gisa lag im Bett und schlief
dank eines kühlen Trunkes, in dem er eine doppelte Dosis Schlaftabletten
aufgelöst hatte. Sie hatte den fünften Tag in Folge über Mittag in der prallen
Sonne gelegen und heute Morgen beim Frühstück über Kopfschmerzen und Übelkeit
geklagt, es aber auch nach mehreren Stunden, in denen sie wieder und wieder
über der Kloschüssel gebeugt würgte und zu kraftlos war, um ihren Mann zu
beschimpfen, weil er ihr Haar nicht sorgfältig genug zurückhielt, nicht
wahrhaben wollen, dass sie einen Sonnenstich hatte, der sie die nächsten Tage
ans Bett in einem abgedunkeltem Zimmer fesseln würde.
Kai-Uwe
Volkmann lächelte versonnen und schielte nach der jungen Frau, die eben über
einen Witz von Miran so schallend lachte, dass sich ihr Körper vor Vergnügen
schüttelte. Sie hatte ein molliges, gutmütiges Gesicht unter roten fröhlichen
Kringellocken und ihr roter Kirschmund schien von einem Ohr zum anderen zu
reichen. Die Sommersprossen auf ihrem Dekolleté schimmerten unter Glitzerpuder,
und Volkmann fühlte sich mit einem Male von dem unbändigen Wunsch erfüllt, die
einzelnen Sommersprossen mit seinem Finger nachzuzeichnen wie in den
Malen-Nach-Zahlen-Bildern seiner Kindheit, die er so geliebt hatte, weil man
sich bei dieser monotonen Tätigkeit weder anstrengen noch seine Fantasie
einschalten musste, von der er, wie er sehr wohl wusste, ohnehin nicht viel besaß.
»Du
hast Sonne bestellt, Gisa,
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