Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
sich nicht vom Fleck gerührt hatte.
Sie sprang mit zwei Sätzen zu ihm und packte ihn an den Schultern.
»Sie
hatten Recht mit dem, was sie vorhin sagten!«, stieß sie aufgeregt hervor. »Wir
haben tatsächlich etwas übersehen, das heißt ich habe etwas übersehen! Ich
hab’s vor mir gehabt und war zu blind … los, wir müssen im Galopp zurück nach
Dereköy, Herr Schmalfuß! Halt, nein, seien Sie nicht böse, aber ich renne schon
mal vor und halte auf der Straße ein Auto an, mit Ihrem Drahtesel dauert es zu
lange. Ich rufe Sie später an, in einer Stunde oder zwei, versprochen!«
Sie rannte über den
nadelbedeckten Boden zwischen den Pinien davon und verschwand aus seinem
Blickfeld. Weg war sie. Schmalfuß sah ihr nach. Was hatte das Mädchen vor? Eine
undefinierbare Angst packte ihn und er rannte gleichfalls los, in schlenkernden
Sandalen taumelte er den Pfad entlang, taub für das Surren der Zikaden und
blind für das Postkartenpanorama jenseits der Klippen.
Kadir
Bülbül zuckte zusammen, als er die Tür zum Eingang des Polizeireviers aufriss
und ihm der wohlbekannte Militärmarsch entgegen dröhnte. Dalga hatte die
Lautstärke verdoppelt, und so verstand Kadir seine eigenen Worte nicht, als er
hineinstürmte und rief:
»Dalga,
Dalga wo sind Sie? Man hat mich aus dem Emir Palace angerufen, aber ich wollte
nicht glauben, dass Sie…«
Die
Musik verstummte mit einem Tusch und Kadir klammerte sich am Tresen fest.
»…
nicht glauben, dass Sie allen Ernstes Frau Matuschke verhaftet haben.«
Mathilde
Matuschke, die bislang kein Wort verstanden hatte, hörte ihren Namen und
erkannte in dem jungen Mann hinter der Theke den Bullen - oder was er war -,
der bei der Vernehmung ihres Mannes Deutsch mit ihr gesprochen hatte. Ihr
Finger stach in seine Richtung und Kadir war froh, dass er weit genug weg
stand.
»Sie!
Können Sie mir sagen, was dieses Affentheater hier soll? Ich bin gerade am
Kofferpacken, da kommen diese zwei… « Ihr langer Fingernagel zischte auf Dalga
und Kirik zu, die beide gleichzeitig das Kinn einzogen, »… diese zwei
Neandertaler in unser Zimmer gepoltert und schleifen mich hierher!«
»Dalga!
Dalga, was soll das? Was ist in Sie gefahren?«, zischte Bülbül auf Türkisch.
»Herr Matuschke nimmt gerade das Büro des Chefs vom Emir Palace auseinander!
Und das zu Recht.«
Dalga
löste sich langsam von seinem Platz vor dem Ventilator, und Frau Matuschke
ruckelte ein Stück näher an den Tisch, um den freigewordenen Luftstrom
auszunutzen solange es ging.
Breitbeinig
stolzierte er zu seinem Podest und erklomm es mit der ihm notwendig scheinenden
Würde und Behäbigkeit. Seine Uniformknöpfe glänzten.
»Der
liebe Herr Bülbül, sieh mal einer an! Sie kleiner Usurpator, Sie! Will sich
wohl schon mal sein neues Büro anschauen, wie? Daraus wird nichts, das kann ich
Ihnen versprechen! Haben Sie sich allen Ernstes gedacht, Sie könnten mir ohne
große Umwege und Umschweife meinen Posten abluchsen?«
» Komiser ,
nehmen Sie Vernunft an, ich schwöre Ihnen, dass ich damit nichts zu tun habe!
Ich will Ihren Job doch gar nicht, das gebe ich Ihnen gerne hier und jetzt
schriftlich!«
Dalga
blinzelte überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet. Aber so schnell wollte er
den eitlen Schlacks nicht aus der Bredouille lassen.
»Was
denn? Sie wollen meinen Job nicht? Was ist so schlecht daran? Ist er Ihnen
nicht gut genug!«
Kadir
winkte müde ab.
»Ach,
Unsinn, Dalga und das wissen Sie ganz genau. Ich hab’s Ihnen damals gesagt und
ich sag’s Ihnen heute: Ich werde nicht mehr bei der Polizei arbeiten. Weder bei
der deutschen noch bei der türkischen oder der von Timbuktu. Nie mehr, in
hundert Jahren nicht.«
Dalga
nagte an seinem Schnurrbart und versuchte in Kadirs Zügen zu lesen. Sagte der
Schlacks wirklich die Wahrheit? Dalga sprang von dem Podest und lief zu seinem
Schreibtisch. Mit dem gerahmten Bild des Präsidenten und dem seiner Mutter
kehrte er zurück.
»Schwören
Sie. Auf das Haupt einer Mutter und das des Präsidenten, dass sie keine
Absichten auf meinen Posten haben.«
Kadir
legte beide Hände auf die zwei Fotos und schwor.
»Sind
die meschugge, oder was?«, fragte Frau Matuschke Levent Kirik auf Deutsch und
deutete zum Tresen. Der hob verständnislos die Schultern.
»Wieso
haben Sie sie verhaftet?«, fragte Bülbül, nachdem er nun sicher sein konnte,
dass er mit dem Kommissar wieder im Einvernehmen war.
»Sie
hat kein hieb- und stichfestes Alibi für die Nacht vor dem Morgen,
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