Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
lustig. Als sie den Bergrücken erreicht
hatten, und der Weg sich ohne Gefälle oder Anstieg bequem durch den Wald
schlängelte und immer wieder herrliche Aussichten auf das azurblaue Panorama
freigab, begann Schmalfuß langsam den Ausflug vorsichtig zu genießen. Seda
hatte Recht! Man musste ab und an die Seele baumeln und sich durch neue
Landschaften frisch inspirieren lassen.
Am
Wehrturm ließ er sie alleine nach oben klettern und horchte angstvoll, ob das
Rumoren über seinem Kopf anhielt, denn wer wusste schon, wie diese junge Frau
da herumhüpfte und schon löste sich ein Stein, die Decke, das gesamte
Mauerwerk! Nach einer Weile kam sie herunter und setzte sich auf einen Felsen
mit Blick aufs Meer, Schmalfuß nahm ein Stückchen weiter entfernt Platz, gerade
so, dass er noch ein Fitzelchen Wasser sehen konnte. Mehr brauchte er nicht.
»Was,
Herr Schmalfuß, wenn es noch mehr Mordopfer gibt? Wenn Dereköy so eine Art Jack
the Ripper beherbergt? Ich beginne mich langsam unwohl zu fühlen.«
»Nehmen
wir nicht das Schlimmste an, Fräulein Seda. Ich bin zuversichtlich, selbst in
meinem ausgepumpten und verschwitzten Zustand, dass die Lösung des Falles zum
Greifen nah ist. Wir müssen nur noch einmal auf alle Fakten schauen, denn mein
altes Polizistenherz sagt mir, ja, das ist besser, lächeln Sie nur, Fräulein
Seda, so mag ich Sie lieber, also mein Instinkt sagt mir, dass wir etwas
übersehen haben. Irgendetwas.«
Seda
beugte sich zu ihren Turnschuhen und nestelte eine Distel aus den
Schnürsenkeln.
»Wissen
Sie, woran ich da oben im Turm gedacht habe?«
»Woran?
Jetzt sehen Sie wieder so ernst drein…«
»Wir
haben so viel über Verbindungen und Zusammenhänge geredet, Sie, Kadir und ich.
Und plötzlich ist mir eingefallen, dass Frau Fischbach und ich auch etwas
gemeinsam haben.«
»Sie
beide?«, fragte Schmalfuß erstaunt.
»Sehen
Sie, wir haben beide den gleichen Beruf, wir sind am Empfang beschäftigt. Den
lieben langen Tag nehmen wir Anrufe entgegen, Beschwerden, versenden Post, bekommen
Post, schreiben Mails und Briefe, organisieren tausend Dinge. Vielleicht,
dachte ich so bei mir, bin ich auch eines Tages von meinem Job so angeödet,
dass ich mein Leben auf drei Wochen Urlaub reduziere, mir irgendwelche Typen
anlache und wenn mir das nicht mehr gelingt, kaufe auch ich mir eine
Magnum-Flasche Champagner und erzähle der Welt, dass ein saudi-arabischer Prinz
in seinem Wüstenpalast auf mich wartet.«
»Aber,
aber, was sind denn das für morbide Gedanken!«
»Morbide?
Warum? Bernadette Fischbach wird auch einmal eine junge Frau gewesen sein und
sich die Welt als eine Abfolge von Abenteuern oder durchdrungen von Romantik
vorgestellt haben. Wer denkt sich schon, dass man eines Tages mit einem
bezahlten Gigolo, Himmel, ausgerechnet mit dem Frosch, endet oder wie das
Ehepaar Volkmann, das sich nichts mehr zu sagen hat und bei denen es nicht
auffällt, wenn der Partner drei Tage verschwunden ist.«
»Aber,
Fräulein Seda, mir scheint, hier geht es gar nicht um Ihren Job, nicht wahr?
Mir scheint, die Morde haben Sie auf unschöne und recht brutale Weise auf ein
anderes Schlachtfeld menschlichen Daseins aufmerksam gemacht – die Liebe in all
ihren Schreckensszenarien.«
»Liebe
in all ihren Schreckensszenarien? Sie sagen das, als gäbe es keine gute, keine
große Liebe.«
»Nun,
zumindest nicht im näheren Umfeld unserer zwei Verbrechen. Und darauf muss ich
mein Urteil beschränken. Aber ich kann Ihnen versichern, liebes Fräulein Seda,
und das können Sie einem Mann in meinem Alter, der etliches gesehen hat, ruhig
glauben: Sie werden nie, niemals wie Frau Fischbach alleine und betrunken auf
dem Balkon sitzen und einen Gigolo anlallen. Sicherlich sind Sie auch eine
junge Frau, die große Liebe erleben will, wer will das nicht? Und hier tut sich
vielleicht tatsächlich eine Parallele zu der jungen Bernadette auf. Aber der
Weg, der dann folgt, wird für Sie ein anderer sein als der, den Frau Fischbach
beschritten hat. Sehen Sie, Nietzsche, der, ich gebe es zu, den Frauen nicht
gerade wohlgesonnen war, hat einmal gesagt, dass die Männer das Leben lieben
und die Frauen das Leben durch die Männer lieben.«
»Das
war in Zeiten vor Simone de Beauvoir und der Frauenbewegung!«, lachte Seda.
»Wirklich?
Dann denken Sie einmal darüber nach wie viele Frauen Sie kennen, bei denen dies
tatsächlich so ist. Zu lange mussten Frauen in fast allen Ländern dieser Erde so
leben, das lässt sich nicht in zwei oder
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