Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
für
Katamarantouren im Juli, Büromaterialbestellung, Küchengeräte, Sportequipment …
«
»Nein,
wenn Sie hieraus was weggenommen hätte, hätte ich ihr die Hand abgehackt. Wie
gesagt, dieser Ordner ist unser heiliges Schutzschild, das weiß Seda ja selbst
zu Genüge. Aber sie hat diese Blätter hier aus unserem Tagesprotokollordner
rausgerissen und nicht wieder zurückgeheftet. Nachdem sie weg war, hab ich sie
da liegengelassen, denn ich dachte, das kann sie mal schön selbst wieder
einheften, wenn sie heute Abend Schicht hat…«
Rüyas
Unterlippe zitterte. Kadir riss ihr die Blätter aus der Hand und überflog sie.
»Da
stehen nur so Sachen drauf, die nicht zur Tagesroutine gehören, also, wenn was
Besonderes passiert. Aber auch wenn wir Handwerker bestellen, wann die kommen und
gehen, damit die uns hinterher nichts in Rechnung stellen, was nicht stimmt.«,
erklärte Sandra.
Kadir
breitete die Rechnungen auf dem Tresen aus und begann jede einzelne mit den
Notizen und Daten auf den Tagesprotokollen zu vergleichen.
»Also,
mehr ist nicht passiert«, schloss Rüya. »Halt, stopp! Sie hat noch mit dem Emir
Palace telefoniert, ich glaube es war mit Elif, die arbeitet dort am Empfang.
Dabei hat sie irgendwelche Sachen in ihr Handy gespeichert, ich dachte, die
beiden verabreden sich und habe nicht hingehört. Und dann kam der Anruf von
Maria, dass sie heute Abend nicht kommen könnte und Sandra fragte, ob Seda die
Abendschicht übernehmen würde.«
Schmalfuß
sah, dass Kadir sich nicht mehr bewegte, sein Gesicht hatte jede Farbe
verloren.
»Es
ist noch etwas passiert, fällt mir gerade ein!«, mischte sich Sandra ein. »Sie
fragte mich, ob ich Deniz gesehen hätte und ich sagte, ja, er sei vermutlich
hinten am Spa-Bereich bei den Oleanderbüschen, denn dorthin hätte ich ihn gegen
Mittag hingeschickt und bei seinem Tempo wäre er sicherlich immer noch dort.«
»Ist
Deniz jetzt auch hier?«
»Ja,
er hat noch keinen Feierabend. Wenn sein Großvater ihn nicht gerade antreibt,
dann macht er wahrscheinlich hinter den Tennisanlagen am Pavillon eines seiner
vielen Päuschen. Ich wette, da finden sie ihn.«
»Ich
bin gleich wieder da, Herr Schmalfuß, bitte warten Sie hier auf mich. Es ist
besser, ich spreche allein mit ihm und Türkisch verstehen Sie ja nicht.«
Kadir
war mitten im Satz davongerannt.
»Jaja«,
maulte Schmalfuß. »Der dezente Hinweis ist nicht verschwendet und trifft mich
schwer. Im nächsten Türkisch-Volkshochschulkurs in Hamburg-Winterhude wird
Herbert Schmalfuß einen Platz in der ersten Reihe haben! Sie können mir schon
mal eine Schultüte kaufen, Herr Bülbül!«
Schmalfuß
starrte auf die Papiere, die Kadir auf dem Tresen zurückgelassen hatte.
Verflixt und zugenäht, wenn er sich ein bisschen eher mit der Sprache befasst
hätte, dann würde er jetzt sehen können, was Seda und nun auch Kadir
offensichtlich entdeckt hatten. Aber hier, dachte er erfreut, die
Tagesprotokolle waren auf Deutsch! Er nahm die Blätter und studierte sie
gewissenhaft. Doch er fand nichts, nicht den kleinsten Hinweis.
Nach
fünf Minuten kehrte Kadir zurück und wenige Augenblicke später saßen sie in
seinem Wagen und brausten längs der Uferpromenade Richtung Emir Palace. Kadir
bremste direkt vor dem Eingang, ließ den Motor laufen und rannte in die Lobby.
Schmalfuß zählte die Sekunden um sich abzulenken und zupfte ungeduldig an
seinen Bermudahorts. Da erschien Kadir aus einem Seiteneingang, riss die
Fahrertür auf und drückte aufs Gas, noch bevor er seine Tür wieder geschlossen
hatte.
Im
dichten Feierabendverkehr wählte Kadir die Fahrmethode, die er in der Türkei so
schätzen gelernt hatte und die in Köln so gar nicht gut ankam: Wo immer ein
Hindernis auftauchte umkurvte er es unter Ausnutzung noch so geringen Raumes, fegte
über Mittelstreifen, durchgezogene Linien und geschwindigkeitsbegrenzende
Erhebungen, und Herbert Schmalfuß hielt sich mit beiden Händen am Griff über
dem Beifahrerfenster fest und hörte mit geschlossenen Augen der Geschichte zu,
die Kadir ihm erzählte. Irgendetwas ratschte ohrenbetäubend an seiner Seite
entlang und für einen kurzen Moment dachte Schmalfuß, dass nun alles aus und
vorbei wäre, doch dann beschleunigte der Wagen erneut und rumpelte eine ganze
Weile über einen schlecht asphaltierten Weg.
Schließlich
wurden die Geräusche leiser, der Straßenbelag offensichtlich besser und
Schmalfuß wagte es, ein Auge zu öffnen. Wenige Autos, eine hübsche Gegend
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